Auf fünf Regionalkonferenzen diskutieren Bürger, Beamte und lokale Politiker in der Schweiz über Standorte für ein atomares Tiefenlager. Das Erstaunliche ist der unaufgeregte Ton der Debatte – wie ein Besuch im Kanton Zürich zeigt.

Weiach - Die Feuerwehr hat die Straße gesperrt und weist an diesem frühen Samstagmorgen in die Parkplätze ein – etwas viel Aufwand für nur 100 Delegierte der Regionalkonferenz zur Atommüllendlagersuche im 1000-Einwohner-Dorf Weiach (Kanton Zürich), denkt sich der Fremde. Kommen Protestgruppen mit Trommeln und brennenden Fässern, wie man sie aus Gorleben kennt, vor die Mehrzweckhalle? Eine kritische Bevölkerung müsste hier, direkt am Rhein und an der deutschen Grenze, 20 Kilometer nördlich von Zürich, doch zu Hause sein. Aber Fehlanzeige – bis auf ein einziges Protestplakat am Ortseingang an einer Kiesgrube, dem möglichen Standort NL-2, sind keine Anzeichen von Unmut zu sehen.

 

Um 8.30 Uhr gibt’s den Morgenkaffee, um 9 Uhr wird die Regionalkonferenz vom Gemeindepräsidenten Paul Willi eröffnet, der daran erinnert, dass im Untergrund der Mehrzweckhalle mal ein Schwimmbad angelegt war, das man aus Kostengründen dann überdeckelt habe. „Ich wünsche der Versammlung einen erfolgreichen Verlauf“, sagt Willi auf Schwyzerdütsch. Ob und was im Untergrund der Region Nördlich Lägern, in der Weiach liegt, vergraben werden soll, das ist die große Frage. Fünf Atomkraftwerke laufen in der Schweiz noch – ihr strahlender Müll soll eines Tages in mehreren Hundert Meter Tiefe in einer Tonschicht für eine Million Jahre verschlossen werden. Darüber besteht Konsens. Aber wo? Nicht nur Weiach ist ein möglicher Standort, auch fünf andere Gebiete in der Schweiz gelten als geeignet. Weshalb parallel in vier weiteren Regionalkonferenzen erörtert wird, was ab 2022 passiert, wenn der Bundesrat einen endgültigen Standortbeschluss gefällt haben wird.

Alles läuft ruhig und ausgesprochen sachlich ab

Die Konferenz ist genau getaktet mit Vorgaben für die Redezeit, man tagt nun zum siebten Mal, und es läuft so ruhig und sachlich, dass der jüngste Teilnehmer – der dreimonatige Felix – fast durchschläft. So emotionsfrei verläuft die Aussprache über Untersuchungsparameter, Teilziele und Kriterien, dass es einem Teilnehmer irgendwann zu bunt wird: „Wir diskutieren hier einen halben Tag lang über sinnlose Sachen!“, ruft er in den Saal. Ob der Arbeitsplatzfaktor des Tiefenlagers nun 0,1 Prozent oder 0,4 Prozent ausmache, das sei doch völlig egal. Den Unmut des Zwischenrufers hatte eine Studie erregt, die die ökonomischen Aspekte eines Tiefenlagers abklopft und sie mit den anderen Regionen vergleicht. Dass die Sicherheit das entscheidende Kriterium für die Auswahl ist, gilt als oberstes Prinzip. Dennoch wird auch gefragt, was eine Atommülldeponie für den Tourismus und die Wirtschaft bedeutet. Der positive Arbeitsplatzeffekt – 100 Jobs im Bergwerk – wäre für die Region Nord Lägern gering. Die negative Wirkung für den Fremdenverkehr ist es ebenfalls – ganz anders als am Standort Engelberger Tal, wo man vom Tourismus lebt. Nein, die Studie sei falsch angelegt, da sie das nahe Baden und Bad Zurzach mit der Thermalquelle nicht berücksichtige, das würde den Tourismusfaktor erhöhen, sagt eine Frau. Auch fehle der Flughafen Zürich-Kloten in der Analyse, wäre diese Jobmaschine der Region drin, wäre der tolle Arbeitsplatzeffekt des Tiefenlagers gleich null. Mit Mehrheit beschließt die Versammlung, die Studie müsse nachgebessert werden.