Etliche Agenturen werben mit billiger Rund-um-die-Uhr-Pflege für Senioren. Das Geschäftsmodell ist lukrativ – aber oft gegen das Gesetz. Dubiose Anbieter nutzen eine Grauzone, die eine EU-Regel eröffnet. Und die Behörden sind meist machtlos.

Möglingen - Er schreit schon wieder. Alicja Dawid setzt sich im Bett auf und blickt auf die Uhr: 4.30 Uhr. Sie hat mitgezählt. Es ist schon das zwölfte Mal in dieser Nacht, dass sie geweckt wird. Die Polin steigt die Treppe hinunter und geht in das Zimmer ihres Arbeitgebers: Ein 89-jähriger Mann, 110 Kilo schwer und schwer an Demenz erkrankt. Schlafen will er nie, Alicja Dawid muss ihm etwas zu trinken geben, ihn aufsetzen, Salbe auftragen, ihm Sauerstoff geben. Rund um die Uhr soll sie für den Mann da sein. Tagsüber macht sie den Haushalt, hilft ihm beim Aufstehen, beim Waschen und Anziehen, gibt ihm Essen, geht mit ihm auf die Toilette.

 

Nach drei Monaten ist der Albtraum zu Ende, Alicja Dawid (58) reist wieder nach Hause. Kaum Zeit zum Essen, wenig Schlaf, kaum Kontakte mit der Außenwelt – der Stress hat bei ihr Spuren hinterlassen. „Als ich wieder heimkam, waren mir alle meine Hosenbünde viel zu weit“, sagt sie.

24 Stunden Arbeitszeit, an sieben Tagen pro Woche – und das alles für einen Monatslohn von 900 Euro oder noch weniger. Für Tausende Frauen aus Osteuropa sind solche Arbeitsbedingungen Alltag in Deutschland, einer Republik im Pflegenotstand. Experten schätzen, dass es bundesweit rund 2,5 Millionen pflegebedürftige Senioren gibt, in Baden-Württemberg sind es rund 250 000. Weit mehr als die Hälfte dieser Menschen wird zu Hause betreut – von wem und unter welchen Bedingungen, weiß keiner so genau. Fachleute schätzen, dass in Deutschland etwa eine halbe Million Frauen aus Osteuropa leben, die deutsche Senioren zu Hause betreuen – so wie Alicja Dawid. Ein gigantischer Wachstumsmarkt. Und ein Tummelfeld für dubiose Vermittlungsagenturen.