Für Jugendliche sind die Chancen auf dem Stuttgarter Ausbildungsmarkt aktuell so gut wie selten zuvor. Fast alle Bewerber haben eine Lehrstelle gefunden – 633 Ausbildungsplätze sind unbesetzt geblieben.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Deutlich mehr Stuttgarter Unternehmen als im Vorjahr haben ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können: 633 Stellen sind bis zum Stichtag am 30. September im Agenturbezirk (Stuttgart und Landkreis Böblingen) offen geblieben. Das ist eine Steigerung von mehr als 50 Prozent. Der Anstieg ist damit deutlich höher als im Landesdurchschnitt. Die Regionaldirektion der Agentur für Arbeit vermeldet für Baden-Württemberg 5548 unbesetzte Stellen – das ist ein Zuwachs von 20 Prozent gegenüber 2011.

 

Viele hiesige Unternehmen versuchen deshalb inzwischen, möglichst früh Fakten zu schaffen und den Nachwuchs an sich zu binden. „Die Zusagen für Ausbildungsstellen kamen diesmal extrem früh, oft schon im Januar und Februar“, benennt der Teamleiter der Berufsberatung bei der Stuttgarter Arbeitsagentur, Peter Klausen, einen neuen Trend des Ausbildungsmarktes 2011/2012. Die Devise scheint auch für 2013 zu gelten: Die Stuttgarter Agenturchefin Petra Cravaack berichtet, dass schon jetzt wieder mehr als 4200 Ausbildungsstellen für 2013 gemeldet seien – ungewöhnlich viele für diesen frühen Zeitpunkt. Schließlich hat das neue Ausbildungsjahr Anfang September erst begonnen. Problematisch für die Unternehmen: die betriebliche Ausbildung scheint für viele Jugendliche nicht mehr so attraktiv zu sein, sie wollen lieber einen höheren Abschluss machen: „Der Trend geht zu weiterführenden Schulen“, so Cravaack. Abiturienten wiederum würden oft zweigleisig fahren. Komme die Zusage für den Studienplatz, sagten sie dem Unternehmen ab.

„Ein gutes Jahr“

„Für uns war das Jahr 2011/2012 ein gutes Jahr“, resümiert Cravaack. Die Vermittlungsquote könnte kaum besser sein: nur elf Jugendliche von 5078 aus dem Agenturbezirk konnten gar nicht vermittelt werden. Die Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz standen aus Bewerbersicht ausgesprochen gut angesichts von 7004 offenen Stellen. Rechnerisch kamen auf einen Bewerber 1,38 Ausbildungsstellen. In Stuttgart allein sieht die Quote sogar noch besser aus: Hier liegt sie bei 1,77 – 4947 Stellen waren aus Stuttgart gemeldet.

Dennoch gibt es immer wieder Jugendliche, die nicht zum Zuge kommen. Rund 300 schwächeren Jugendlichen würde bei der Ausbildung „gezielt geholfen“, heißt es bei der Agentur: indem sie für die Ausbildung fit gemacht werden, ausbildungsbegleitende Hilfen bekommen oder eine außerbetriebliche Lehre bei einem Träger absolvieren. So würden für 2012/2013 insgesamt 196 Plätze bei den berufsvorbereitenden Maßnahmen besetzt – 480 Euro kosten diese pro Platz und Monat. Am teuersten komme die Agentur die außerbetriebliche Ausbildung ohne Kooperation mit einem Arbeitgeber: Hier liegen laut Cravaack die Kosten bei 797 Euro pro Person je Monat. „Da nehmen wir wirklich Geld in die Hand“, sagt die Agenturchefin.

Kritik an der Vergabepraxis

Das sieht allerdings nicht jeder so. Kritik an der Vergabepraxis bei der Jugendberufshilfe kommt nun von der Diakonie Württemberg, die in der Jugendberufshilfe aktiv ist. „Wir würden uns mehr Wettbewerb in der Qualität wünschen, statt nur den rein preislichen Wettbewerb“, sagt der Referent für Jugend- und Berufshilfe bei der Diakonie Württemberg, Olaf Kierstein. Wer seine Mitarbeiter nach Tarif bezahle, habe Probleme. Bei ihren Einrichtungen sei ausgeschöpft, was an Kostenersparnis geht. Inzwischen sei ein Punkt erreicht, an dem in Frage stehe, „wie wir uns noch beteiligen können und wollen“, sagt Kierstein.

Petra Cravaack weist die Kritik zurück. Mitnichten werde nur nach dem Preis entschieden, sondern nach einem Punktesystem. Die Träger würden später auch kontrolliert, ob sie die Bedingungen in der Qualität erfüllen. Der Diakonie Württemberg empfiehlt sie, sich zu einer Bietergemeinschaft mit anderen Trägern zusammenzuschließen, um Synergieeffekte zu nutzen. So haben sich die Träger Neue Arbeit, Internationaler Bund (IB) und die Deutsche Angestellten Akademie (DAA) zu solch einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossen. „Es muss nicht jeder alles vorhalten“, sagt Cravaack.

Die Agenturchefin appelliert an die Unternehmen, auch schwächeren Bewerbern eine Chance zu geben. Wegen des Fachkräftemangels und der demografischen Lage müssten sie sich Gedanken machen. Sie legt den Betrieben das Programm der Einstiegsqualifizierung ans Herz, eine Art Praktikum. Auch bei der außerbetrieblichen Ausbildung könnten sie sich einbringen. Bei Schwierigkeiten gebe es Hilfe.