Überraschende Entscheidung der Stadt Stuttgart im Zusammenhang mit einer Zivilklage zu möglichem Schadenersatz, weil die Ausländerbehörde einen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung für einen brasilianischen Krankenpfleger mehr als zwei Monate unbearbeitet gelassen hat: Die vor drei Wochen vor dem Landgericht Stuttgart in Aussicht gestellte Vergleichsbereitschaft wurde am Dienstag widerrufen. Dem Pfleger, der eine Anstellung in einer Ludwigsburger Klinik hat, waren zwei Monatsgehälter entgangen. Nur weil er von seiner Vermittlerin einen kostenlosen Kredit erhalten hat, konnte er überhaupt in Deutschland bleiben. Er beginnt sein Berufsleben nun mit einer Darlehensschuld von 5300 Euro, die er gerne von der Stadt erstattet bekommen hätte.
Klägeranwalt versteht die Stadtverwaltung nicht
Sein Rechtsanwalt, der Stuttgarter Verteidiger und ehemalige Grünen-Stadtrat Roland Kugler, zeigte sich enttäuscht. Er sieht die Stadt „in dieser Angelegenheit schlecht beraten“. Nun werde eben nicht ein Vergleich, sondern das Urteil betroffene Ausländer animieren, ebenfalls den Rechtsweg zu beschreiten, wenn sie monatelang ohne Rückmeldung auf ihre Arbeitserlaubnis warten müssen und dadurch einen finanziellen Verlust erleiden. Denn so, wie er den Richter erlebt habe, werde die Verwaltung nun eben in einem Urteil statt einem Vergleich aufgefordert, Schadenersatz zu leisten. Ob in der vorläufig vereinbarten Höhe von 63 Prozent der geforderten 5337 Euro – also rund 3400 Euro – sei dahingestellt. Es ist für Kugler aber unzweifelhaft, dass der Ausländerbehörde ein Organisationsversagen attestiert werde.
Richter zeigt sich enttäuscht über Haltung der Stadt
Tatsächlich hatte der Einzelrichter in der Verhandlung seiner „maßlosen Enttäuschung“ über die anfängliche Weigerung des städtischen Rechtsbeistands, einen Vergleich in Erwägung zu ziehen, Ausdruck verliehen. Er machte zudem deutlich, dass er sich „relativ schwertun würde, die Klage vollständig abzuweisen“. Zügig sei der Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung für eine Beschäftigung jedenfalls nicht bearbeitet worden. Bleibe es bei der Ablehnung, könnten die Parteien gerne beim Oberlandesgericht weitermachen.
Stadt dringt auf ein Urteil
Die Stadt hat nun einen Tag vor Ablauf der vereinbarten Überlegungsfrist deutlich gemacht, dass sie ein Urteil wolle, weil sie keinen Anspruch auf Schadenersatz sehe. Die Verfahrensdauer habe „im Rahmen des Üblichen und Machbaren“ gelegen. Allerdings begründet sie die Dauer mit dem erheblichen Personalmangel, der im vergangenen Jahr zu langen Schlangen vor der Ausländerbehörde geführt hat, die bundesweit Negativschlagzeilen produzierten. Und sie verweist auf die jahrelangen Bemühungen, die Lage zu verbessern. Zudem laufe es auch in anderen Städten nicht rund. Rechtsanwalt Kugler beruft sich gerade deshalb auf ein Organisationsversagen: Weil die Stadt schon so lange Zeit die Missstände geduldet hat, ohne sie ernsthaft beheben zu wollen, könne sie sich nicht auf die in jüngster Zeit beschlossenen Optimierungsmaßnahmen berufen.
„Fahrlässig begangene Amtspflichtverletzung“
Er ist weiter der Ansicht, die Stadt sei gegenüber seinem Mandanten schadenersatzpflichtig, weil die zögerliche Bearbeitung des Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung eine „fahrlässig begangene Amtspflichtverletzung“ darstelle. Der Antrag war am 17. April 2023 gestellt worden. Er enthielt schon deshalb nahezu alle erforderlichen Unterlagen, weil diese von der Ausländerbehörde bereits geprüft worden waren, als sich der Kläger wegen der Lehrstelle angemeldet hatte. Es war lediglich zu klären, ob das Regierungspräsidium die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpfleger“ erteilte (hat es) und ob der Pfleger für diesen Ausbildungsberuf einen Arbeitsvertrag vorweisen konnte (das tat er). Laut Kugler hätte die Bearbeitung der beiden Papiere nur wenige Minuten in Anspruch genommen. Die Prüfung in der Eberhardstraße dauerte im ersten Schritt aber schon 39 Tage, in denen nicht nur E-Mails zum Stand der Dinge unbeantwortet geblieben waren – ein bekannter Umstand, schließlich hat die Behörde selbst einmal von Zigtausend unbeantworteten Mails gesprochen.
Und auch der Pfleger stand sich vergeblich in der langen Schlange vor der Behörde die Beine in den Bauch. Bewegung in den Fall kam offensichtlich erst, als Kugler beim Verwaltungsgericht eine Untätigkeitsklage eingereicht hatte. Die Stellungnahme durch die Bundesanstalt für Arbeit – wegen des Mangels an Kranken- und Altenpflegern eigentlich eine entbehrliche Schleife, die in diesem Verfahren gezogen werden muss – ließ ebenfalls auf sich warten und hätte laut Kugler zwingend ein Nachhaken erfordert.
Bundesanstalt für Arbeit als Hemmnis
Spätestens nach 14 Tagen hätte sich der Antrag automatisch erledigt, weil er nach Ablauf dieser Frist als genehmigt gilt. Aber auch danach sei nichts geschehen, trug der Verteidiger in der Verhandlung vor. Erst 24 Tage später erhielt der Pfleger eine Fiktionsbescheinigung – auf die Aufenthaltserlaubnis musste er sogar bis Ende Juni warten.
Die Stadt zitiert in ihrer Mitteilung OB Frank Nopper (CDU), der den Bundesgesetzgeber auffordert, die Verfahren zu vereinfachen. So sei beispielsweise die Zustimmung zur Bundesanstalt für Arbeit zu überdenken.