Der SPD-Politiker fordert bei der Eröffnung der umstrittenen Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ im DGB-Haus eine offene Diskussion über die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg. Ein Artikel aus der StZ vom September 1995.

Stuttgart - „Wir hantieren hier hart am Nerv einer ganzen Generation“, sagte der SPD-Politiker und frühere Bundesminister Erhard Eppler in seiner Rede, mit der er gestern [am 10. September 1995] im Stuttgarter DGB-Haus die von dem Hamburger Institut für Sozialforschung gestaltete Ausstellung „Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ eröffnete. Von ehemaligen Kriegsteilnehmern, zu denen er selber gehöre, sei er wegen seiner Bereitschaft, diese Ausstellung zu eröffnen, hart kritisiert worden. Wenn man aber die Opfer zusammenzähle, die Hitlers Vernichtungskrieg im Osten hervorgerufen habe, dann komme man leicht auf Zahlen, „welche die des Holocaust noch übertreffen. Dies ist der Grund dafür, daß ich diese Ausstellung eröffne“.

 

So richtig es sei, daß die Deutschen über den Holocaust inzwischen Bescheid wüßten, so falsch sei die Behauptung, diese Ausstellung berichte über Verbrechen, über die schon tausendmal geredet worden sei. Nun, nach dem Kalten Krieg, könne niemand mehr behaupten, man spiele damit dem Kommunismus in die Hände. Was diese Ausstellung zeige, das tue weh, „nicht nur denen, die sich darüber empören“.

Hitler hat schon im Mai 1941 die Menschen rechtlos gestellt

Durch den „Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa“ vom Mai 1941 seien die Menschen in den zu erobernden Gebieten schon vorab rechtlos gestellt worden. „Die Kriegsgerichte hatten sich nur noch um die Disziplin der Truppe zu kümmern, und die war mit der Tötung von Gefangenen und Zivilisten durchaus vereinbar.“ Die Befehle und Anweisungen zeigen nach Epplers Meinung auch eine unglaubliche politische Verblendung: statt die Menschen in den eroberten Gebieten zu gewinnen, habe man sie terrorisiert, mit der Folge, daß die Partisanentätigkeit eingesetzt und sich laufend gesteigert habe. Die verzweifelte Gegenwehr der Bewohner habe dann immer brutalere Maßnahmen der Deutschen ausgelöst. So ergebe sich aus den Dokumenten zwangsläufig, „was nachher gekommen ist, einschließlich der deutschen Niederlage und der Rache der Roten Armee“.

Laut Eppler hat das fatale Feindbild vom jüdischen Bolschewismus dazu geführt, daß Juden von vornherein als potentielle Partisanen gelten. „Damit ließ sich begründen, daß die Aussonderung der Juden in Ghettos meist von der Wehrmacht betrieben wurde.“ Anlaß zu dem berühmt-berüchtigten Befehl des linientreuen Feldmarschalls von Reichenau vom Oktober 1941 sei wohl die Sorge gewesen, ein beträchtlicher Teil der Truppe habe sich gegenüber „Menschen minderer Qualität oder gar Untermenschen“ so verhalten, wie die Soldaten es von Frankreich oder Norwegen her gewohnt waren. Eppler sagte, er wisse nicht, wieviel Prozent der Offiziere sich bis zum Herbst 1941 noch an die Regeln eines anständigen Soldatentums gehalten hätten. „Aber ich wage die These, daß es bei den Frontoffizieren des Heeres die Mehrheit war.“ Und wenn überlebende Frontsoldaten behaupteten, sie hätten sich nur ihrer Haut gewehrt, „so dürfte das in den meisten Fällen der Wahrheit ziemlich nahe kommen“.

Auch Bombenkrieg gegen die Deutschen ein Verbrechen

Eppler rechtfertigte nicht nur die Diskussion über Verbrechen der Wehrmacht, er stellte auch die Frage nach den Verbrechen der anderen: Der Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung bleibe ebenso ein Verbrechen wie das, was die Rote Armee im deutschen Osten angerichtet habe. Das Motiv der Rache mache ein Verbrechen nicht rechtens. „Vielleicht finden sich“, sagte der SPD-Politiker, „in anderen freien Ländern eines Tages Menschen, die den Verbrechen der eigenen Armee nachspüren. Sie werden fündig werden, und dies wird der Völkerverständigung dienen.“

Dieser Text erschien am 11. September 1995 in der Stuttgarter Zeitung.