Die Ausstellung „Das jüdische Konstanz“ zeigt die Geschichte der Juden am Bodensee, ihren Alltag in der Blütezeit seit der Gleichstellung von 1862 an bis zu ihrer Verfolgung und Vernichtung in den NS-Lagern.

Konstanz - Simon Levinger am Bodanplatz 10 war ein von vielen Konstanzern überaus geschätzter Metzger. Seine Kunden waren bei weitem nicht nur Juden wie er. Zu Ostern etwa bestellten viele Familien bei der Metzgerei Levinger ihren Lammbraten. 1898 hatte er seinen Laden in dem schmalen Wohn- und Geschäftshaus gegründet. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das Leben auch für die Juden in Konstanz immer schwerer. So erging es auch Levinger, denn das NS-Regime untersagte umgehend das rituelle Schlachten, das Schächten.

 

Levinger erkannte die Zeichen der Zeit und verkaufte 1937 Haus und Metzgerei an einen anderen Konstanzer Metzgermeister. Er erhielt sogar den realen Verkehrswert von 40 000 Reichsmark, was ungewöhnlich war, denn meist mussten die Juden ihre Häuser und Geschäfte zum Spottpreis veräußern.

Ein Großteil des Geldes ging durch exorbitant hohe Steuern und die Kosten der Emigration verloren. Jedoch gelang es Simon und Pauline Levinger, drei Monate nach Kriegsbeginn mit ihrer Tochter Alice und deren kleinem Sohn Kurt Deutschland zu verlassen. Über Rotterdam glückte die Flucht nach Uruguay.

6500 badische Juden ins französische Gurs verschleppt

Die Geschichte der Familie Levinger ist typisch für die Vertreibung und Verfolgung der deutschen Juden. In Konstanz war das nicht anders. Ihrer Erwerbsmöglichkeiten beraubt, verließ ein Großteil der jüdischen Konstanzer bis 1939 ihre alte Heimat. Sie fanden Zuflucht in Palästina, England, Argentinien, in den USA oder in asiatischen Ländern. In die ebenso nahe wie rettende Schweiz schafften es nur die Begüterten unter ihnen.

In Baden hatte der Gauleiter Robert Wagner (1895-1946) den Ehrgeiz entwickelt, das Elsass und Lothringen und danach Baden und die Pfalz judenfrei zu machen. Gemeinsam mit Josef Bürckel, dem Zivilverwaltungsleiter im eroberten Lothringen, schob Wagner im Oktober 1940 in der sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion 6500 badische und pfälzische sowie 22 000 elsässische Juden in das französische Internierungslager Gurs in den Pyrenäen ab. Darunter waren auch 112 jüdische Konstanzer.

Von 4500 Juden aus Baden wurden 2000 in die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz verschleppt und ermordet. Nur 750 Menschen überlebten. Aus Anlass des 75. Jahrestages der Deportation der badischen Juden zeigt das Rosgartenmuseum am Münster die Ausstellung „Das jüdische Konstanz – Blütezeit und Vernichtung“.

Kleidung, Tagebücher und Briefe aus aller Welt

Auffällig an der ambitionierten Sonderausstellung ist das stete Bemühen von Museumsleiter Tobias Engelsing, die Schicksale der Menschen durch besondere Exponate und die Nacherzählung ihrer Lebensgeschichten hautnah erklär- und erfahrbar zu machen. Engelsing hatte die ihm bekannten Adressen noch lebender Emigrierter und ihrer Nachfahren angeschrieben und alsbald aus allen Teilen der Welt Post erhalten.

Die Nachfahren schreiben zurück, es sei schön, dass die Schicksale der Familien nicht vergessen seien und legten liebevoll aufbewahrte Erinnerungsstücke bei. Darunter Gegenstände aus jüdischen Haushalten, Kleidungsstücke, Brillenetuis, Werbegeschenke, Kleiderbügel ehemaliger jüdischer Warenhäuser, Tagebücher, Bücher und Briefe sowie ein kleines Lederetui für den Hausschlüssel, mit dem der Konstanzer Kantor Jacob Bravman damals vor der Flucht für immer sein Haus abschloss.

Die Arisierung, auch in Konstanz ein dunkles Kapitel, wird intensiv beleuchtet. Durch Akten der Industrie- und Handelskammer gelingt es Engelsing nachzuweisen, dass in Konstanz während der NS-Zeit mindestens 46 jüdische Gewerbebetriebe enteignet wurden; zumeist Einzelhändler, kleine Handwerksbetriebe, Verlage, Arztpraxen und Anwaltskanzleien.

Die Ausstellung zeigt die Blütezeit der Konstanzer Juden

Das Material, das Engelsing erreichte, war so reichhaltig, dass er ein Begleitbuch zur Ausstellung erstellen konnte, das im Südverlag erschienen ist. Darin zeichnet er die Geschichte der Konstanzer Juden nach, von ihrer Blütezeit, beginnend mit dem Gleichstellungsgesetz von 1862, als in Baden alle verfassungsrechtlichen Einschränkungen aufgehoben wurden, bis zu ihrer Verfolgung und Vernichtung.

„Wir wollten die Juden in Konstanz nicht aus ausgemergelte KZ-Opfer zeigen, denn damit hätten wir ihr Leben ausgeblendet und den Beitrag, mit dem sie die Geschichte dieser Stadt bereichert haben“, sagt Engelsing. Vom 19. Oktober bis 1. November soll ein erhaltener Waggon der Reichsbahn, mit dem badische Juden nach Gurs deportiert wurden, als besonderes Mahnmal aufgestellt werden.

Der kranke und erschöpfte Simon Levinger starb 1941 im Alter von 74 Jahren, nur zwei Jahre nach seiner Flucht. Seine Erben kämpften nach dem Krieg lange mit den Behörden um die Anerkennung der während der NS-Zeit erlittenen Schäden.

Rahmenprogramm bis Ende Dezember

Da der Hausverkauf zu fairen Bedingungen abgelaufen war, machte die Familie Gesundheits- und Vermögensschäden geltend und erhielt 5000 Mark. 1977 zog Tochter Alice mit ihrem Sohn nach Konstanz. Sie starb dort 1981 in einem Altenheim.

Die Ausstellung ist bis zum 30. Dezember im Kulturzentrum am Münster in Konstanz zu sehen. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, am Samstag sowie an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 17 Uhr. Jeden Dienstag finden um 16 Uhr öffentliche Führungen statt. Eintritt drei Euro.

Das städtische Museum bietet zu der Ausstellung „Das jüdische Konstanz. Blütezeit und Vernichtung“ ein umfangreiches Rahmenprogramm. Am 20.September findet ein Rundgang zu den Schauplätzen jüdischen Lebens in Konstanz statt. Am 24. September läuft im Scala-Kino der Film „Menschliches Versagen“ im Beisein des Regisseurs Michael Verhoeven über die „Arisierung“. Am 11. Oktober und 8. November wird eine Führung über den jüdischen Friedhof angeboten. Weitere Termine unter
www.konstanz.de/rosgartenmuseum