Bis Montag macht das Schiff MS Wissenschaft in Stuttgart Station, bevor es nach Ludwigsburg und Esslingen weiterfährt. Eine Ausstellung lockt mit Exponaten zum Mitmachen: Wie kann die Stadt grüner werden und mehr Lebensqualität bieten?

Stuttgart - Es macht Spaß, mit ausgebreiteten Armen wie eine Eule von Laterne zu Laterne durch einen nächtlichen Stadtpark zu fliegen. Wenn man dann auf einem solchen grellen Nachtlicht „gelandet“ ist, dann darf man Fragen beantworten, indem man den rechten oder linken Arm hochhält. So erfährt man beispielsweise, warum Insekten nachts so gerne um Straßenlaternen schwirren: weil sie das helle Licht mit dem Mond verwechseln.

 

Der Verlust der dunklen Nacht in der Stadt ist gleich zu Beginn der Ausstellung im Bauch der MS Wissenschaft ein wichtiges Thema – nicht nur als Mitmachaktion für Kinder, sondern auch als Infopunkt für Erwachsene. So liest man mit Staunen die Geschichte von den Bewohnern der amerikanischen Millionenstadt Los Angeles. Dort versetzte 1994 ein nächtliches Erdbeben die Menschen in helle Aufregung. Und weil der Strom ausfiel und damit sämtliche Lichter erloschen, zeigte sich zum Schrecken vieler Menschen eine silbrige Wolke am Nachthimmel. „Zum Glück konnten sie schnell beruhigt werden. Was sie sahen, war die Milchstraße, die zum ersten Mal seit Jahrzehnten mit bloßem Auge sichtbar war“, heißt es in dem Ausstellungstext.

Was macht eine Stadt aus, wie funktioniert sie? Und was macht das Leben in der Stadt attraktiv? Die Ausstellung in der MS-Wissenschaft – einem zum Wissenschaftsschiff umgebauten Frachter – will Antworten auf solche Fragen geben. Und sie will sich vor allem auch mit der urbanen Zukunft beschäftigen. Dabei erschöpft sich die Aktion „Wissenschaftsjahr 2015 – Zukunftsstadt“ nicht in statischen Exponaten, sondern lädt an vielen Stationen zum Mitmachen ein.

Aus Tetrapaks werden Pflanzenkübel

So kann man zum Beispiel an der zukunftsfähigen europäischen Stadt mit dem schönen Namen Europolis mitbauen. Man muss Arbeitsplätze und Wohnraum schaffen, dabei aber klimaschädliches CO2 vermeiden und zudem für ein erträgliches Stadtklima sorgen. So werden dann per Mausklick Stadtviertel gebaut, indem man munter Bausteine wie Einfamilienhäuser mit Garten, Mehrfamilienhäuser, Bürogebäude, Industrieansiedlungen, Bäume, Straßen, Grünflächen oder Straßenbahnen auf dem virtuellen Spielfeld verteilt. Je nach Baufortschritt wird man dann gemahnt, mehr für die Wohnraum- und Arbeitsplatzbeschaffung zu tun oder die steigenden Temperaturen und CO2-Emissionen im Blick zu behalten.

Dabei lernt man schnell, dass Industrie und Straßen schlecht für die CO2-Emissionen und das Stadtklima sind und dass man tunlichst keine Einfamilienhäuschen mit Garten einplant. Wenn man am Ende des Spiels die Umweltauswirkungen ganz gut im Griff hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man wegen zu wenig Wohnraum abgemahnt wird, weil dadurch die Mietpreise explodieren. Und zu wenige Arbeitsplätze bergen die Gefahr sozialer Konflikte. Mithin ist das alles gar nicht so einfach, lautet die Lehre aus diesem Spiel.

So zieht sich vor allem das Thema Nachhaltigkeit durch die gesamte Ausstellung. Ein nettes Exponat dabei ist das städtische Gärtnern. Beim „urban gardening“ könne das Gemüse der Umwelt zuliebe sogar in Behältnissen wachsen, „die eigentlich in die Recycling-Tonne gehören: gebrauchte Brötchenkisten, aufgeschnittene Tetrapaks oder alte Eimer“, schlagen die Ausstellungsmacher vor. Und liefern gleich eine Anleitung mit, wie man einen Getränkekarton in ein Pflanzgefäß verwandelt: oberhalb der Mitte abschneiden, auf der Unterseite etwa acht kleine Löcher einstechen, damit das Wasser ablaufen kann, dann den Boden mit einer Schicht Kieselsteine oder kleineren Tonscherben bedecken, Erde drauf und Pflanzen einsetzen.

Der Energieverbrauch der Städte steigt

Neben solch eher „leichteren“ Ausstellungsstücken kann man sich aber auch ernstere Themen zu Gemüte führen. Wie manche Stadtviertel altern, lässt sich gut am Beispiel der Plattenbau-Siedlung Grünau am westlichen Stadtrand von Leipzig nachvollziehen. Dort lebten in den 1980er Jahren bis zu 85 000 Menschen. Doch nach der Wende zogen die Jungen fort, die Älteren blieben. Seit 2011 bessert sich die Situation wieder langsam – dank Sanierung und teilweisem Abriss. Der Altersdurchschnitt ist zwar in jüngster Zeit leicht gesunken, aber er liegt immer noch deutlich über anderen Ortsteilen der Stadt.

Immer wieder wird bei der Ausstellung deutlich, dass Wissenschaft und Forschung gefragt sind, wenn urbane Zukunftskonzepte entwickelt werden. Das ist nicht nur im Hinblick auf die steigende Zahl an Megacities unerlässlich, sondern auch für das weltweit verbreitete Wachstum der Städte allgemein. Schon heute sind sie für drei Viertel des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich, wobei sie rund 70 Prozent der vom Menschen erzeugten Treibhausgase emittieren. Im Projekt „Morgenstadt: City Insights“ arbeitet zum Beispiel eine ganze Reihe von Fraunhofer-Instituten mit Industrie und Städten an „marktfähigen Lösungen“, wie es heißt. Und beim Exponat „Kluge Städte“ geht es darum, wie Bürger mit eigenen Sensoren Umweltdaten messen und in ein Überwachungs- und Regelungsnetz einbringen können – Citizen Science (Bürgerwissenschaft) also.

Erfreulich ist, dass die Ausstellungsmacher dabei nicht allein mit mehr oder weniger euphorischen Zukunftsperspektiven aufwarten, sondern durchaus auch die Gefahren und Risiken thematisieren. So beschäftigt sich beispielsweise die Station „Gute Daten, schlechte Daten“ mit den Datenspuren, die jeder bei Aktivitäten im Internet hinterlässt. Die nicht nur bei vielen Jugendlichen verbreitete Ansicht „Ich habe doch nichts zu verbergen“ wird anhand mehrerer Beispiele in Frage gestellt – etwa wenn in Zukunft womöglich die Autoversicherung teurer wird, weil sie weiß, dass man zu schnell gefahren ist. Oder der individuelle Flugpreis steigt, weil dem Online-Dienst bekannt ist, dass die Freundin schon ihr Ticket gebucht hat und man dann keine andere Wahl hat, ebenfalls zu buchen – und zähneknirschend mehr bezahlt.