Als Bibi Fellner verkörpert sie eine der stärksten Frauenfiguren des „Tatorts“. Von solchen Frauen könnte es im deutschen Fernsehen ruhig mehr geben, sagt Adele Neuhauser, die jetzt ihre Autobiografie veröffentlicht hat.
Stuttgart - Ja, eine gute Freundin könnte sie schon sein, diese Bibi Fellner. Auf jeden Fall eine Frau, die sie gern kennenlernen würde, sagt Adele Neuhauser über ihre prominenteste Fernsehrolle. „Das ist der Typ lonesome Wölfin. Das sind Frauen, die stark sind, die Mut haben dagegen zu sein und allein, die ihrer Wut und Verzweiflung freien Lauf lassen.“ Und dann fügt sie noch hinzu: „Wie es sie im wirklichen Leben oft gibt, auf dem Bildschirm aber noch viel zu selten.“
Seit 2011 verkörpert die österreichische Schauspielerin mit der dunklen Stimme die Majorin Bibiane „Bibi“ Fellner an der Seite von Harald Krassnitzers Oberinspektor Moritz Eisner im österreichischen „Tatort“. Bei ihr sei es „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen, und auch viele „Tatort“-Fans haben sich sofort in diese kantige Person verguckt, die Single, kinderlos und trockene Alkoholikerin ist, früher bei der Sitte war und für den Zuhälter Inkasso-Heinzi die Alibifreundin spielt, um dessen Schwulsein zu vertuschen.
Dem „Tatort“ wie ihrer gesamten Film- und Fernseharbeit, aus der neben dem Sonntagskrimi noch die ORF-Serie „Vier Frauen und ein Todesfall“ herausragt, widmet die in 1959 in Athen geborene Schauspielerin in ihrer jetzt erschienenen Autobiografie selbstverständlich auch ein Kapitel. Allerdings nicht ohne ihren lobenden, dankenden Worten ein wenig Kritik am deutschen Fernsehen hinterherzuschieben. Kritik, die an erster Stelle von ihren deutschen Kollegen stamme: „Wir wollen von unseren Redakteuren auch so viel Freiheit bekommen und solche Geschichten erzählen dürfen wie die Österreicher“, das sei bei der Bambi-Verleihung vor zwei Jahren von einigen der anwesenden 32 „Tatort“- Kommissare ihr und Harald Krassnitzer gegenüber zu hören gewesen, erzählt sie in ihrem Buch.
Selbsthass, Scham und Suizidversuche
„Uns ist erst im Spiegel dieser Kritik klar geworden, wie frei wir hier eigentlich sind“, sagt sie zu dieser Episode im Gespräch mit dieser Zeitung. Dass aufgrund der Vorgaben der deutschen Sendeanstalten „Tatort“-Kommissaren etwa nahegelegt wird, nicht zu rauchen oder Alkohol zu trinken, findet auch sie nicht richtig. „Natürlich haben wir einen Bildungsauftrag, eine Vorbildfunktion. Aber man muss aufpassen, dass dadurch nicht so eine Enge, so eine Starrheit entsteht. In der Kunst soll man bitte schön die Freiheit haben, alles zu tun.“ Freiheit, Mut – das sind Schlüsselbegriffe im Leben von Adele Neuhauser. Mutig war die Tochter eines in Griechenland aufgewachsenen Vaters und einer österreichischen Mutter schon als Kind. Schon mit sechs Jahren – da war sie schon mit ihrer Familie von Griechenland nach Wien umgesiedelt – wusste sie, dass sie Schauspielerin werden wollte. „Woher der Wunsch kam, kann ich nicht sagen. Das war ein kosmischer Auftrag, ich war so sicher, dass das für mich das Richtige ist. Das fühle ich auch heute noch.“
Ihr Mut, der sie, nachdem sie mit sechzehn von zu Hause ausgezogen war und vom Max-Reinhardt-Seminar abgewiesen wurde, zur Schauspielschule Krauss in Wien und im Anschluss zu einer ganzen Reihe von Stadttheater-Engagements in Deutschland und einem unkonventionellen Künstlerleben mit ihrem Mann Zoltan Paul Pajzs führte, dieser Mut hatte auch verheerende Seiten: Bis sie 21 Jahre alt war, verübte Adele Neuhauser sechs Selbstmordversuche, den ersten bereits mit zehn Jahren.
„Ich war mein größter Feind“ – so hat sie ihre Autobiografie genannt. Ursprung dieser „extremen Mutproben“ war die Trennung ihrer Eltern: Neun Jahre war sie alt, als deren Beziehung zum zweiten Mal und damit endgültig zerbrach. Die Tochter entschied sich, beim Vater zu leben: „Ich fühlte mich meiner Mutter gegenüber schuldig. Und da ich schon als Kind eine große Tragödin war, habe ich diese Schuldgefühle in Selbsthass umgewandelt“, erklärt sie. 2004 hatte sie ihre Suizidversuche in einem Interview öffentlich gemacht.
Sie will auf die große Leinwand
Dass ihre von Höhen und Tiefen geprägte Lebensgeschichte eine Leserschaft finden könnte, diesen Gedanken hätten gleich mehrere Verlage gleichzeitig gehabt, erzählt sie. „Es war gar nicht meine Idee, eine Autobiografie zu schreiben.“ Sie meistert auch diese Herausforderung: Adele Neuhauser erzählt offen, ungekünstelt, in nie anbiederndem Ton von ihrer glücklichen, aber auch schwierigen Kindheit „zwischen zwei Welten“, Griechenland und Deutschland, von ihrem Bruder Alexander und ihrem Halbbruder Peter, ihrer Theaterliebe, von ihrer gescheiterten Ehe wie auch von ihrem Sohn Julian, mit dessen Punkband Edi Nulz sie heute regelmäßig musikalische Lesungen veranstaltet. Und von den zwei schweren Jahren, die hinter ihr liegen: 2015 starb ihr Vater Georg, 2016, im Abstand von nur einem Monat, ihre Mutter und ihr Bruder Alexander, der mit seiner Familie in Stuttgart lebte.
Es sei ihr zwischendurch „fast absurd“ vorgekommen, „launige Anekdoten zu erzählen, wo ich so tief von Trauer erfüllt war“. Doch dann sei das Schreiben zur „schönsten Trauerarbeit“ geworden: „Ich konnte die Trauer in eine solche Lebenslust und Neugier umwandeln, wie ich es ohne das Buch nicht geschafft hätte.“
Sie habe „so ein Gefühl von Neuanfang“, schreibt sie, nennt das Kino einen „Sehnsuchtsort“ – auf der großen Leinwand „wäre die Expressivität meines Spiels richtig gut aufgehoben“ – und betont, wie wichtig es ihr sei, Rollen zu verkörpern, „die jenseits der Fiktion von Sauberkeit, Perfektion und einem bruchlos gelungenen Leben angesiedelt sind“. Und sie träumt von der Arbeit mit internationalen Regisseuren, etwa Pedro Almodóvar. Das passt. Dass er etwas mit starken Frauen anfangen kann, hat der Spanier ja schon bestens bewiesen.