Die sechsköpfige Familie Perivoitos hat kein Auto. Sie erledigen alle Wege zu Fuß, per Fahrrad, Bus oder Bahn. Sie haben uns von den Herausforderungen und Vorteilen erzählt.

Böblingen: Leonie Schüler (lem)

Rohr - Der Fuhrpark der Perivoitos’ ist riesig. Jedes der sechs Familienmitglieder hat mindestens ein Fahrrad, manche auch zwei, hinzu kommen diverse Anhänger. Die Garage steht voll. Das macht aber nichts, denn für ein Auto braucht die Familie keinen Platz. Für Ethel Perivoitos ist das nichts Besonderes. „Wir kennen es ja nicht anders“, sagt die 46-Jährige. „Es ist eine Frage des Wollens. Dann richtet man sein Leben entsprechend ein.“

 

Die Entscheidung, auf ein Auto zu verzichten, trafen sie und ihr Mann bereits 1996, als noch keine Kinder da waren. Auto- und Motorradführerscheine hatten beide da zwar schon, doch der Umwelt zuliebe entschloss sich Peter Perivoitos als Student, nur noch in ein motorisiertes Fahrzeug zu steigen, wenn mindestens sieben Personen an Bord sind. Seine Frau Ethel schloss sich dem Vorsatz bald an. „Wir haben entschieden, dass es für die Familie einheitlicher ist, wenn wir an einem Strang ziehen“, sagt sie. Auch als selbstständiger Bauunternehmer ist Peter Perivoitos seinem Grundsatz treu geblieben. Baustoffe wie Beton oder Fenster lässt er direkt zur Baustelle liefern, Werkzeuge befördert er im Fahrradanhänger. Selten ist er beim Transport auf die Hilfe eines befreundeten Unternehmens angewiesen.

In den Urlaub geht es mit dem Zug

Der Alltag der Perivoitos’ unterscheidet sich kaum von motorisierten Familien. Sie haben Hobbys wie Faustball, Squash und Kontrabass, fahren in den Sommerurlaub nach Griechenland oder Italien und auch zum Skifahren in die Berge. Nur eben ohne Auto. „Wir sind eine ganz normale Familie mit vielen Umweltsünden. Auf ein Auto zu verzichten, ist unser kleiner Beitrag zum Umweltschutz“, sagt Ethel Perivoitos. Was sie nicht mag, ist Mitleid. Manche Leute würden annehmen, sie könnten sich kein Auto leisten. Dass sie dadurch viel Geld sparen, sei aber nicht ihr Hauptantrieb.

Statt ins Auto steigen Ethel und Peter Perivoitos und ihre 13-, 16-, 18- und 20-jährigen Söhne und Töchter in Busse, Bahnen oder aufs Fahrrad. Obgleich die Topografie in Vaihingen überwiegend flach ist, haben sie es schwer: Sie wohnen in Rohr an einem steilen Berg. Und nach dem Pedaletreten müssen sie noch in den vierten Stock hochlaufen. Das sei aber kein Problem, sagt der 20-jährige Sohn Peter. „Wenn man den Berg mit Lasten hochgefahren ist, dann sind die Treppen Entspannung.“

In der Stadt sind die Wege kurz

Dass ihnen ihr autofreies Leben gelingt, liegt auch an der guten Infrastruktur der Landeshauptstadt. Der Bus hält vor der Haustür, die S-Bahn ist wenige Gehminuten entfernt. Auch Ärzte, Schulen, Freizeiteinrichtungen und Läden sind nahe. „Auf dem Land, wo der Bus nur einmal in der Stunde fährt, wäre das natürlich etwas ganz anderes“, sagt Peter Perivoitos. Für Einkäufe hat die vierfache Mutter Satteltaschen an ihrem Rad befestigt. Manchmal sehe es lustig aus, wenn sie schwer bepackt mit ihrem Lastesel den Berg hinauf strample. „Meine Eltern finden es peinlich, wenn ich mit Klopapier auf dem Gepäckträger unterwegs bin, aber ich empfinde nichts dabei“, sagt sie lachend.

Auch weitere Distanzen schrecken die Radfamilie nicht ab. „25 Kilometer sind für uns keine Strecke“, sagt Ethel Perivoitos. Ihr Sohn Peter berichtet von der Fahrt zu einem Faustballturnier im Schwarzwald. Mit dem Zug fuhr er bis zum nächstgelegenen Bahnhof, die letzten Kilometer legte er mit dem Fahrrad zurück. Doch der Weg endete im Nirgendwo. „Ich durfte dann das Rad durch eine Schlucht tragen“, erzählt der 20-Jährige. „Es war wunderschön, aber sehr abenteuerlich. Es hätte auch im Dschungel sein können.“

Der Kontrabass kommt nicht mit aufs Rad

Sein anderes Hobby lässt sich hingegen schlecht mit Radfahren verbinden. Seinen 1,80 Meter großen Kontrabass schnallt er auf den Rücken und nimmt ihn mit in die Stadtbahn, wenn er zu Proben ins Zentrum fährt. „Es geht alles, wenn man sich zu organisieren weiß. Blöd ist es nur zu Hauptverkehrszeiten oder wenn Wasen ist“, sagt der Student der Bauphysik. Früher hätten er und seine Geschwister sich manchmal gegenüber ihren Klassenkameraden rechtfertigen müssen, warum ihre Familie kein Auto hat. „Kinder sind da weniger einsichtig als Erwachsene“, sagt er. Inzwischen sei das Umweltbewusstsein in der Gesellschaft gestiegen, die Akzeptanz höher. Noch hat der Student keinen Führerschein, er möchte ihn aber machen. Für seine Eltern ist das in Ordnung. „Wir sind nicht missionarisch unterwegs. Die Kinder müssen es für sich entscheiden, wir legen ihnen keine Steine in den Weg“, sagt Ethel Perivoitos.

Situationen, in denen die 46-Jährige den Entschluss zum autofreien Leben bereut, gibt es fast keine. „Wenn ich an nasskalten Novembertagen mit den Kindern zweimal am Tag klitschnass geworden bin, dann habe ich schon mal gegrollt, aber das sind die Ausnahmen“, sagt die Physiotherapeutin. Für sie überwiegen die Vorteile: Die Bewegung halte fit, und häufig sei sie mit dem Rad schneller als die Autofahrer, die im Stau stehen oder nach einem Parkplatz suchen. „Ich fahre dann mit einem Lächeln auf den Lippen an den Autos vorbei“, sagt sie und lacht.