Musik und schnieke Oldtimer: Dass das zusammenpasst, wollte Marios Joannou Elia am Samstag in Mannheim beweisen - und nutzte seine Chance nicht.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Mannheim - Wenn es einem Fetisch zu huldigen gilt, dürfen Kosten und Mühen nicht gescheut werden. Das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, das SWR Vokalensemble, der Kinderchor der Stuttgarter Staatsoper, ein kleines Perkussionsensemble, die Popband Söhne Mannheims sowie 120 jugendliche Schlagzeugschüler bevölkern am Samstagabend diverse Bühnen und Podeste auf dem Mannheimer Friedrichsplatz. Geboten wird ein buchstäblich einmaliges Erlebnis, die Ur- und zugleich Letztaufführung des Werks "Autosymphonic", einer Auftragskomposition des zypriotischen Komponisten und Hölszky-Schülers Marios Joannou Elia.

 

Elia, ein Perfektionist offenbar, hat den Schlagzeugschülern als "Instrumente" achtzig Autos beigegeben, auf beziehungsweise mit denen sie Klänge erzeugen, deren Tonhöhen wiederum akribisch untersucht worden sein sollen, damit Elia dazu eine harmonische Partitur verfertigen konnte. Bei diesen Kraftfahrzeugen darf es sich natürlich nicht um irgendwelche Skodas oder Daihatsus handeln, bestand doch der eigentliche Zweck der "Autosymphonic" darin, den Abschluss der Feierlichkeiten zum 125-jährigen Bestehen des Automobils in Szene zu setzen.

Klingt urkomisch

Schnieke Oldtimer säumen daher kreisförmig angeordnet den Platz, um türenschlagend, auspuffröhrend, scheibenwischerkratzend, hupend und kofferraumschlagend "Musik" zu machen. Klingt komisch? Klingt urkomisch sogar, in beiden Konnotationen, die dieses Wort bereithält: einerseits im Hinblick auf die verstörende Umwidmung dessen, was zumeist als lästiger Alltagskrach wahrgenommen wird; andererseits leider allerdings auch in der bisweilen blassen Anmutung, die dieses Soundspektakel mit sich bringt. Es ist ein Schaulaufen - nicht des Menschen, sondern der Maschine.

"Die Mensch-Maschine", das legendäre Album der deutschen Elektronikformation Kraftwerk, muss Elia mit beeinflusst haben. Er zitiert klanglich das "Boom-Tschak" der Düsseldorfer Band in seinem einstündigen Werk, er bemüht aber auch die Comedian Harmonists ("Wochenend und Sonnenschein"), er lässt Wagner'sche Quartakkorde erdröhnen, hat den Vokalsolisten einsprengselhafte Klangfetzen in die Partitur geschrieben und natürlich auch bollernde Tuttipassagen parat; eine Light-Version der Carmina Burana gewissermaßen. Zu hören gibt es eine Melange aus Neuer Musik, Industrialsound und klassisch harmonischem Orchestersatz, in ihren Versatzstücken disparat und nur selten auf zwingendem zeitgenössischem Niveau.

Schöpfungsgeschichte des Automobils

Erzählt wird dazu in Musik und Bildern die Schöpfungsgeschichte des Automobils als eine befremdlich überhöhte Genesis, in der etwa die Söhne Mannheims Sätze singen wie "Du bist fünfhundert Pferde, wie eine riesige Arche, die vor mir herrennt". Multimedial in Szene gesetzt wird sie von Horst Hamann mit Projektionen, Laserkanonen und vor allem Lichtdomen, die vor der Kulisse der historischen Gebäude und insbesondere des monumentalen steinernen Wasserturms zumindest gewisse Assoziationen hervorrufen.

Die überzeichnete Lightshow ertränkt allerdings die Musik und beraubt sie ihrer Wirkung. Fast scheint es, als fehle den Veranstaltern das Zutrauen in die Imaginationskraft der Musik allein. "Die werkimmanent-kompositorische Dimension und die Polymedialität auf der Ebene der Inszenierung", wie es hölzern in der Ankündigung heißt, wird durch eine neuerdings 360-Grad-Konzept genannte Beschallung umgesetzt, also die Verteilung von Lautsprechern und Ensembles quer über den Platz. Der Gesamtklang gewinnt durch die fehlende Ortbarkeit der Instrumentalisten und Sänger jedoch nicht, im Gegenteil, er wirkt heterogen und auch dynamisch sehr uneinheitlich.

Showspektakel

Was bleibt, ist ein Showspektakel, das vielleicht den Grußwortwunsch des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Erfüllung gehen ließ, dass dieser Event "die emotionale Seite des Automobils sinnlich erlebbar machen soll". Was bleibt, ist bei diesem Vorrang des Entertainments allerdings auch die vertane Chance, ein - in diesem Fall sogar riesiges - Publikum zu erreichen, das sich bisher noch nie mit Neuer Musik beschäftigt hat. Trotz enormem Aufwand an Mensch und Material hält sich die Begeisterung in Grenzen.

"Der Amboss dröhnte und die Erde zitterte", lautet das Schlusspaneel, das auf ein Videoband projiziert wird. Es mag in der Retrospektive für Carl Benz' Tüftlerkunst gelten, nicht jedoch für die musikalische Güte jenes Mannheimer Brückenschlags namens "Autosymphonic". Es ist, wie leider so oft, schon ein rechtes Kreuz mit dem Crossover.