Baden-Württemberger über ihre Cannabis-Sucht „Die Droge ist zu meinem Boss geworden“

Bei Heranwachsenden wird der Konsum von Cannabis schnell zur Regel. Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch

Eltern schauen oft weg, wenn Jugendliche kiffen. Doch das Gehirn von Heranwachsenden reagiert besonders empfindlich auf Cannabis. In der Rehaklinik Freiolsheim suchen sie Wege zurück ins normale Leben.

Gesundheit für Menschen in Stuttgart: Regine Warth (wa)

Der Moment, in dem Elisabeth richtig bewusst worden ist, dass in ihrem Leben ziemlich viel schiefläuft, fühlte sich an wie ein Krimi: „Ich war bei meinem Dealer, um meine Wochenration Gras zu kaufen, da ging die Tür auf und die Polizei stand da.“ Hausdurchsuchung, Zeugenbefragung. Erst nach diesem Schreck hatte sich die 22-jährige Studentin dazu entschlossen, Hilfe zu holen. „Ich wollte raus aus meinem Kifferleben.“ Da hatte sie sechs Jahre Cannabiskonsum hinter sich. „Mein Tagesrhythmus war ganz auf die Droge ausgerichtet: Wenn ich aufgestanden bin, hab ich erst mal einen Kaffee getrunken und Gras geraucht.“

 

Seit Juni ist Elisabeth, die wie alle Patienten in dem Text ihren wahren Namen nicht nennen möchte, in der Rehaklinik Freiolsheim, einer Klinik für Menschen mit Suchterkrankungen am Rande des Nordschwarzwalds. Knapp 60 Patienten machen hier eine stationäre Therapie, teils bis zu einem halben Jahr. Einige sind cannabissüchtig, andere haben alles Mögliche konsumiert. Im Laufe der Jahre sei so viel an psychoaktiven Substanzen in ihren Körper gepumpt worden, dass sie daran körperlich und seelisch fast zerbrochen seien, sagt der Leiter der Klinik, Wolfgang Indlekofer.

Als Fabian anfing zu arbeiten, verstärkte sich die Sucht.

Auch Fabian. Dem 35-Jährigen wurden Anforderungen und Stress in Job und Familie irgendwann zu viel. „Als Schüler hat man mit seinen Freunden abgehangen und gekifft, im Studium fing ich dann an, abends einen Joint zu rauchen – sozusagen als Feierabendbier.“ Als Fabian anfing zu arbeiten, verstärkte sich die Sucht. Statt in seiner Freizeit mit Kumpels an Rennrädern rumzuschrauben oder klettern zu gehen, blieb er zum Kiffen zu Hause. „Cannabis verstärkte meine Ist-mir-doch-egal-Haltung immer weiter.“ Probleme oder Stress lösen sich in Rauch auf.

Cannabis gilt als weiche Droge. Das Risiko, abhängig zu werden, schätzen Experten etwa bei Alkohol höher ein. Auch gesellschaftlich wird die Droge zunehmend akzeptiert. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sprechen sich 30 Prozent der Bundesbürger für eine generelle Legalisierung aus. Knapp 59 Prozent wollen, dass Cannabis nur als Arzneimittel erlaubt sein sollte, und nur sieben Prozent befürworten weiter ein generelles Verbot. Auch in der Politik hat die Debatte über eine Legalisierung Fahrt aufgenommen. Denn SPD, Grüne und FDP treten für eine Legalisierung oder zumindest für eine Entkriminalisierung von Cannabis ein.

Fast jeder zehnte Cannabiskonsument entwickelt eine Abhängigkeit

Kritiker befürchten, dass eine solche Entscheidung die Suchtproblematik erhöhen könnte. Nach Hochrechnungen des Epidemiologischen Suchtsurveys von 2018 sind 309 000 Menschen in Deutschland süchtig nach Cannabis. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben bundesweit 10,4 Prozent der 12- bis 17-Jährigen Cannabis schon mal konsumiert. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind es bereits 46,4 Prozent. Es wird geschätzt, dass fast jeder zehnte Cannabiskonsument eine Abhängigkeit entwickelt. Beginnt man bereits im Jugendalter, Cannabis zu konsumieren, so liegt die Wahrscheinlichkeit bei 17 Prozent.

Nicht jeder, der Cannabis raucht oder es anderweitig konsumiert, werde psychisch auffällig, sagt der Suchttherapeut Indlekofer. Aber es gibt Risikofaktoren, die Abhängigkeit begünstigen: psychische Probleme, die soziale Herkunft, die genetische Veranlagung. Auch das Alter spielt eine Rolle – etwa wenn Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren besonders früh mit dem Kiffen begonnen haben. „Wenn sie in diesem Alter die Funktionalität der Droge erkannt haben – nach dem Motto: Wenn ich einen Joint rauche, kann ich entspannen, es lässt mich den Stress vergessen – dann wird’s richtig gefährlich.“

Nicht nur die Suchterkrankung selbst, sondern die gesundheitlichen Folgen sind in der Altersgruppe einschneidend: Studien zeigen, dass das Gehirn von Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders empfindlich auf die Droge reagiert – etwa im präfrontalen Kortex. Die Hirnregion, die hilft, Impulse zu kontrollieren, Probleme zu lösen und Handlungen zu planen, ist bei Cannabis-Konsumenten nicht so ausgeprägt. Auch der Hippocampus ist verkleinert. Dort befinden sich wichtige Strukturen des Gedächtnisses.

Während des Lockdowns fing sie schon vormittags an Cannabis zu rauchen

Das Kiffergehirn kenne sie auch, sagt Elisabeth. Lange Jahre hatte sie keine Schwierigkeiten beim Lernen. „Ich war gut in der Schule, hatte mein Abitur geschafft“, erzählt sie. Auch während des Studiums hatte sie anfangs alles unter Kontrolle. Während des Lockdowns, als sie schon vormittags während der Online-Vorlesungen anfing Cannabis zu rauchen, wuchsen die Konzentrationsschwierigkeiten. Jetzt, seit sie mehrere Monate clean sei, habe sich langsam auch ihre Merkfähigkeit wieder verbessert.

Bei Fabian schlug die Droge aufs Gemüt. „Ich hatte immer häufiger depressive Phasen.“ Zuletzt hat er kaum noch Lebenswillen gezeigt. Ob die Psychose Folge des Cannabis-Konsums war oder ob die Joints nur verstärkt haben, was sich sowieso angebahnt hatte – darüber lässt sich nur spekulieren. Die Studienlage dazu, ob und wie Cannabis psychische Erkrankungen auslösen oder verstärken kann, ist dünn. Seit Beginn seiner Therapie fühlt sich Fabian jedenfalls besser.

Es sind Patientengeschichten wie diese, die es Suchtexperten schwermachen, in der politischen Debatte eine klare Position zu beziehen. Die Landesstelle für Suchtfragen bereitet ein Papier vor, in der sie sich für eine Entkriminalisierung von Cannabis einsetzt. Dies soll vor allem dazu dienen, Betroffene zu entstigmatisieren und soziale und psychische Folgeschäden zu verhindern. „Einer uneingeschränkten Legalisierung könnte ich aber nicht ohne Weiteres zustimmen“, sagt Indlekofer, der als Vertreter in der Landesstelle tätig ist. Den meisten seiner Patienten würde eine solche Entscheidung nichts nutzen. „Die fangen im Alter von 15, 16 Jahren an zu kiffen.“ Da bringen kontrollierte Abgabestellen mit Altersfreigaben wenig: „Die Kids holen sich das Zeug vom Schwarzmarkt, wo keiner nach ihrem Alter fragt und das Gras viel günstiger ist.“

Und gefährlicher: Dort wird vermehrt Cannabis verkauft, das mit synthetischen Substanzen angereichert worden ist, um die Wirkung zu steigern. Raucher berichten von Schwindel, Herzrasen, Panikattacken, Krämpfen, Psychosen. Allein in Deutschland gab es 2020 fünf Todesfälle, die mit dem Konsum von Chemiegras in Verbindung gebracht wurden. „Die Käufer haben keine Ahnung, was sie da inhalieren werden und was das dann mit ihnen macht“, sagt Indlekofer.

Suchtprävention ist in Baden-Württemberg fest im Lehrplan verankert

Andreas kann beurteilen, wie sich die Droge verändert hat; vor Wochen hat er in Freiolsheim eine Therapie begonnen. Der 59-Jährige hat seit seiner Teenagerzeit gekifft. „Für mich hatte Gras immer etwas Heiliges.“ Das hat sich verändert. „Der Rausch fühlt sich anders an.“ Statt des weichen, warmen Gefühls durchfahre es einen wie ein Blitz. „Man ist wie elektrisiert – oder nach einem Zug völlig durch den Wind.“ Psychisch kam er damit immer schlechter klar. Andreas hat trotzdem weitergeraucht. „Die Droge ist schon lange zu meinem Boss geworden.“

Suchtprävention ist in Baden-Württemberg fest im Lehrplan verankert. Das ist aber nicht in allen Bundesländern der Fall. Dort entscheiden die Schulen, ob sie das Thema aufgreifen wollen. Ein Fehler, wie Indlekofer klagt. „Gerade dann, wenn Jugendliche die Möglichkeit haben, an das Zeug ranzukommen, muss man mit ihnen darüber sprechen.“ Oft sei es so, dass im Elternhaus oder in der Schule weggeschaut werde. „Erst wenn es dann Ärger gibt, etwa mit der Polizei, dann ist plötzlich die Aufregung groß.“ Doch statt in therapeutischen Einrichtungen landen die Betroffenen dann häufig im Knast.

Murat wurde Cannabis zum Verhängnis: Sieben Jahre hatte der 27-Jährige mit der Droge gedealt, um Kohle zu machen – und er hat selbst geraucht, um mit seinen schwierigen Familienverhältnissen klarzukommen. Irgendwann stand die Polizei vor seiner Tür. Seit seiner Entlassung im Sommer macht er eine Therapie. Ob er von Cannabis die Finger gelassen hätte, wenn er nicht erwischt worden wäre? „Wahrscheinlich nicht – ich war zu gut im Geschäft.“ In zwei Wochen darf Murat nach Hause zurückkehren. Die politischen Debatten interessieren ihn nicht. „Für mich ist das Thema Cannabis erledigt.“

An manchen Tagen habe sie immer noch Angst

Der Weg nach Hause ist der schwerste Schritt, sagt Indlekofer. Dann muss sich zeigen, ob die Patienten einen Weg finden, ihr Leben ohne Droge zu meistern. Im Zimmer von Elisabeth steht eine Nähmaschine. „Ich habe mein altes Hobby aus Jugendtagen wieder aufgegriffen“, sagt sie. Auch Sport helfe ihr, dem Suchtdruck zu entgehen. Im Dezember wolle sie ihr Studium wieder aufnehmen. An manchen Tagen habe sie immer noch Angst, in alte Verhaltensmuster abzurutschen. „Es ist wichtig, dass man seine Suchterkrankung nie vergisst.“

Freiolsheim -

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Cannabis Legalisierung Drogen kiffen