Der Niedergang der Großbäckerei Lang in Stuttgart ist im negativen Sinne ein Lehrbeispiel dafür, wie man sich entbehrlich macht, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Samstagmorgen, Wochenende. Hoffentlich können Sie, liebe Leserinnen, liebe Leser, das Frühstück mit Kaffee, Tee und frischen Brezeln genießen. Sie waren vielleicht schon beim Bäcker um die Ecke – vorausgesetzt, dass es bei Ihnen noch einen Bäcker um die Ecke gibt. Inzwischen muss man schon mal längere Wege gehen, um an frische Brezeln zu kommen. Die Zahl der Bäcker, die noch selbst backen, geht seit Jahren zurück. Ein schleichender Prozess, den man kaum wahrnimmt, weil das Angebot an Backwaren durch Supermärkte, Tankstellen oder Backshops eher größer geworden ist.

 

Das Bäckereisterben wird dann erst zum Thema, wenn mal wieder ein traditionsreiches Geschäft schließt, wie die Bäckerei Gehrung in Plieningen. Rekordverdächtige 500 Jahre Bäckereihistorie sind dort im Frühjahr zu Ende gegangen. Oder in aufsehenerregenden Fällen wie dem der Großbäckerei Lang, deren Geschichte in dieser Woche kurz und schmerzhaft endete. Alle von Lang betriebenen Filialen sind geschlossen, 201 Mitarbeiter haben ihren Job verloren. Es gibt Leute, die sagen, Gründer Max Lang würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sähe, was aus dem von ihm nach dem Krieg entwickelten Filialgeschäft geworden ist.

Bäcker müssen was Besonderes bieten

Langs Ende bedeutet aber auch eine Chance. Die Großbäckerei, die am Schluss nur noch kleine Brötchen backen konnte, wenn überhaupt, ist im negativen Sinne ein Lehrbeispiel dafür, wie man sich entbehrlich macht. Kein eigenes Profil, schlechter Umgang mit den Mitarbeitern – Lang lieferte kaum noch Gründe, sich Samstagmorgens oder an einem anderen Tag auf den Weg in eine seiner Filialen zu machen. Die Qualität der Billig-Konkurrenz ist mittlerweile so gut, dass man als Bäcker schon etwas Besonderes liefern muss – besonderen Service, besondere Produkte, besondere Qualität. Etliche Bäckereibetriebe haben das erkannt und sich darauf eingestellt – längst aber nicht alle. Sie werden sich beeilen müssen. Denn wer die Ansprüche der Kunden ignoriert, ist früher oder später raus.

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt des Bäckereisterbens. Und das sind die Vorschriften, die den Bäckern das Betriebsleben schwer machen, vor allem den Weiterbetrieb im Falle eines Generationswechsels. So berechtigt viele Auflagen sind, etwa bei der Hygiene, darf man einige davon sehr wohl infrage stellen: Wenn beispielsweise das Fortbestehen einer Backstube daran geknüpft ist, dass angeblich störende Stufen für teures Geld entfernt werden, muss man sich nicht wundern, wenn potenzielle Nachfolger abspringen. So geschehen bei der Bäckerei Schurr in Bad-Cannstatt. Dort kann jetzt nicht mehr gebacken werden, was den in Stuttgart geborenen Literaturkritiker Denis Scheck jüngst zu einer Brandrede veranlasste: „Haltet alle Uhren an, löscht die Herdfeuer, zerbrecht Teller und Gläser: Meine Lieblingsbäckerei macht zu!“ Nur wer wisse, was eine Brezel zu einem Kleinod der Backkunst mache, könne ermessen, was das bedeute, meint Scheck: „Götterdämmerung, Skyfall, Armageddon.“ Schurrs Brezeln waren für ihn ein Lichtblick in der von ihm sonst eher geschmähten Landeshauptstadt.

So drastisch muss man es nicht sehen. Und gewiss kann man auch ohne Traditionsbetriebe leben. Aber klar ist auch: Es fehlt dann etwas. Knusprige Brezel-Ärmchen zum Beispiel oder der unnachahmliche Duft einer Backstube. Nennen wir es Lebensqualität. Bei der Gelegenheit: ein schönes Wochenende und guten Appetit!

jan.sellner@stzn.de