Zwei Nato-Partner können nicht miteinander: Griechenland und die Türkei. Außenministerin Baerbock besucht beide – und nimmt Partei für eine Seite.

Nur eine halbe Stunde war bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihrem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu am Freitag in Istanbul verstrichen, als Gastgeber Cavusoglu alle diplomatische Freundlichkeit ablegte. Unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich die Türkei noch auf Deutschland verlassen können, sagte er: Heute sei das leider nicht mehr der Fall. Baerbock hatte vor ihrem Treffen mit Cavusoglu bereits den Rivalen Griechenland besucht und wollte in Istanbul „offene Worte“ sprechen und auf „Plattitüden“ verzichten. Cavusoglu erfüllte ihren Wunsch und zeigte dabei, wie tief der Graben zwischen beiden Ländern ist.

 

Cavusoglu beschwor die aus türkischer Sicht goldenen Zeiten mit Merkel im Zusammenhang mit dem türkisch-griechischen Dauerkrach. Die beiden Nachbarn und Nato-Partner streiten seit Jahrzehnten über die Grenzziehung in der Ägäis und im Mittelmeer und sind auch Gegner im Konflikt um die geteilte EU-Insel Zypern. Vor zwei Jahren eskalierten die Differenzen wegen der Suche nach Erdgas in umstrittenen Meeresgebieten. Damals konnte die EU den Streit entschärfen; Merkel spielte dabei eine wichtige Rolle.

Die Spannungen wachsen

In jüngster Zeit wachsen die Spannungen wieder. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf dem Nachbarn im Juni vor, auf einigen Ägäis-Inseln widerrechtlich Soldaten zu stationieren und drohte mit Krieg. Außerdem will die Türkei im August erneut ein Erkundungsschiff zur Erdgassuche ins Seegebiet um Zypern schicken. In beiden Ländern spielt die Innenpolitik eine Rolle, denn beide Regierungen stellen sich spätestens im kommenden Jahr Neuwahlen.

Das erwähnte Cavusoglu nicht. Stattdessen beschwerte er sich, Deutschland erkenne die griechischen Positionen im Streit mit der Türkei automatisch als richtig an und höre der Türkei nicht mehr zu. Merkel habe noch eine „ausgewogene“ Haltung eingenommen und sich als Vermittlerin zwischen Athen und Ankara betätigt. „Das haben wir respektiert.“ Heute sei Deutschland leider dabei, Merkels Politik des Gleichgewichts aufzugeben, sagte Cavusoglu. Die „Propaganda“ aus Athen entfalte ihre Wirkung. Mit dem Satz deutete er den Vorwurf an, dass sich Baerbock als relative Novizin im Außenamt von den Griechen einwickeln lasse.

Bei fast allen Themen über Kreuz

Die Bundesaußenministerin forderte sowohl in Athen als auch in Istanbul die Regierungen beider Länder auf, ihre Gebietsstreitigkeiten friedlich beizulegen, um Kremlchef Wladimir Putin keine Chance zu geben, die Nato zu spalten. Konflikte zwischen Nato-Partnern müssten im Gespräch gelöst werden, sagte sie. „Streit in den Reihen des Bündnisses – das ist genau, was der russische Präsident will.“ Allerdings ließ sie keinen Zweifel daran, dass Deutschland im griechisch-türkischen Streit auf der Seite ihres EU-Partners Griechenland steht. „Griechische Inseln sind griechisches Territorium“, sagte Baerbock in Athen. „Niemand hat das Recht, das in Frage zu stellen.“ Darüber ärgerte sich Cavusoglu so sehr, dass Baerbock anmerkte, sie hoffe, dass einige der Differenzen zwischen ihr und dem türkischen Minister möglichen Fehlern bei der Übersetzung geschuldet seien.

Baerbock kritisiert drohenden Bruch des Völkerrechts

In Istanbul lagen Baerbock und Cavusoglu nicht nur beim türkisch-griechischen Streit, sondern bei fast allen Themen über Kreuz: dem angekündigten türkischen Einmarsch in Syrien – für Baerbock ein drohender Bruch des Völkerrechts, für Cavusoglu die legitime Abwehr einer terroristischen Bedrohung durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK); der Inhaftierung des Kulturförderers Osman Kavala in der Türkei – für Baerbock eine eklatante Missachtung der Regeln des Europarats, für Cavusoglu die rechtmäßige Bestrafung eines Mannes, der einen Aufstand gegen die Regierung angezettelt habe. Im übrigen ignoriere nicht nur die Türkei die Urteile des Europäischen Gerichts für Menschenrechte, das Kavalas Freilassung angeordnet hat, sagte Cavusoglu. Auch Länder wie Deutschland und Frankreich zögerten mit der Umsetzung von Urteilen.

Angesichts der vielen Differenzen plädierte Baerbock dafür, sachlich zu bleiben und sich nicht „Schlagworte gegenseitig um den Kopf zu hauen“. Gerade Freunde wie Deutschland und die Türkei müssten auf der Grundlage gemeinsamer Werte respektvoll miteinander umgehen. Bei ihrem Treffen mit Cavusoglu waren diese Gemeinsamkeiten fast nicht zu erkennen.