Weniger Passagiere und gestresste Kunden: Der GDL-Streik setzt auch den Geschäften am Stuttgarter Hauptbahnhof zu. Verkäufer und Inhaber beklagen ein deutliches Umsatzminus. Manch einer nutzt die gewonnene Zeit zum Putzen.

Stuttgart - Gerade erst ist der Zug in den Stuttgarter Hauptbahnhof eingefahren, da rollt auch schon die Welle los: Im Pulk hetzen mehrere Dutzend Menschen den Bahnsteig entlang und zielstrebig auf den Ausgang zu. Meist ist ihr Blick auf den Boden geheftet, sie wirken gestresst. An den Geschäften in der Bahnhofshalle stürzen sie achtlos vorbei – keine Seltenheit an Streiktagen wie am Mittwoch. Die Verkäufer können ein Lied davon singen.

 

„Wir leben von den Reisenden. Hier kommt sonst niemand vorbei“, sagt Melanie Schmied, die neben dem Studium im Candy Shop Lolipop jobbt. An Streiktagen seien natürlich viel weniger Menschen im Bahnhof und damit auch im Geschäft. 30 bis 50 Prozent Umsatzeinbußen seien die Folge, schätzt die 26-Jährige. Laut Anzeigetafel fahren in anderthalb Stunden gerade einmal zehn Züge. Die wenigen Reisenden seien oft angespannt und würden nichts kaufen. „Wir können Regale auffüllen und putzen, aber das war es dann auch. Die Zeit geht sehr langsam vorbei.“

Auch Mitarbeiter der Bahnhofsläden stranden

Daniela Andriotis, Schichtleiterin beim Spar-Express in der Marktstation im Bahnhof, geht ähnlich mit den mauen Tagen um. „Die Regale sind aufgefüllt. Ich fange jetzt an, die Weinflaschen abzustauben“, berichtet die 48-Jährige. Sie schätzt die Einbußen an Streiktagen sogar noch höher ein, auf drei Viertel. „Ich habe kein Verständnis mehr. Es trifft immer die Falschen, nämlich die Menschen, die arbeiten müssen.“ Viele der Spar-Express-Mitarbeiter hätten Probleme, bei dem Streik überhaupt zu ihrer Arbeitsstelle zu kommen.

Deshalb und mangels Kunden seien die Express-Läden an der S-Bahn schon früher geschlossen, sagt sie. Auch am Mittwoch sind die Rollläden unten. Die Raucherkneipe Zapfhahn und der Imbiss Snacks und Salate in der Bahnhofshalle sind ebenfalls zu. Im Imbiss hängt ein Schild: „Unser Geschäft bleibt wegen DB-Streik bis Sonntag geschlossen.“

Wenig Verständnis für den Ausstand

Die Auswirkungen des unbefristeten Streiks der Lokführergewerkschaft GDL sind nicht nur in der Bahnhofshalle zu spüren, sondern auch in der Klettpassage. „Ganz übel“ sei es, sagt Dirk Seiler, Mitinhaber des Naturkostmarktes Bio B. Vitalia. „Der Streik kostet uns jeden Tag 3000 bis 4000 Euro Umsatz.“ Das seien etwa 20 bis 30 Prozent. Sie hätten ganz viel Laufkundschaft, und die gehe ihnen verloren, wenn die Züge nicht fahren, ergänzt Seiler. Dadurch, dass die Streiks so kurzfristig angekündigt würden, müssten sie oft einen Teil ihrer georderten Frischware wieder abbestellen, sagt der 38-Jährige. „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür. Es streiken diejenigen, die am meisten haben und am wenigsten arbeiten.“ Im Einzelhandel werde viel weniger verdient.

„Der erste Streiktag ist immer der Schlimmste“, hat Hanni Rau beobachtet, Floristin beim Blumenladen Grüner Punkt in der Klettpassage. Beim letzten Ausstand sei anfangs nur rund die Hälfte ihrer Kunden gekommen. Zum Wochenende hin werde es etwas besser, dann fehle nur noch etwa ein Drittel bis ein Fünftel. Sie wünsche sich eine baldige Einigung. Bis es soweit ist, würden sie den Laden „in Schuss bringen“ und die Dinge machen, zu denen sie sonst nicht kämen.

Streikende stellen sich dem Unmut der Kunden

Während durch die Passage noch die Kunden der nicht bestreikten Stadtbahn laufen, ist es im Bahnhof tatsächlich sehr ruhig, wenn nicht gerade ein Zug ankommt. Schlangen bilden sich selten, nur die diversen Bahnschalter und Servicemitarbeiter haben regen Zulauf. Mitten in der Halle stehen Rick und Sue Thaxton aus Atlanta. Sie sind am Morgen auf dem Stuttgarter Flughafen gelandet – und wurden von dem Streik kalt erwischt. Am Schalter hat man ihnen eine Verbindung rausgesucht, aber sie sind unsicher, ob der Zug an ihrem Ziel hält. „Worum geht es bei dem Streik überhaupt?“, fragt Rick Thaxton irritiert. Als eine Gruppe von rund 30 GDL-Streikenden mit Transparenten durch die Halle läuft, ziehen manche Geschäftsleute und Passagiere die Augenbrauen hoch. Sogar Buhrufe sind zu hören. „Ich kann den Unmut jedes Einzelnen verstehen“, sagt Christian Linow, der an jenem Morgen Streikleiter ist. Bei jedem Streiktag hoffe er, dass es der letzte sei. „Bahn und Politik sind jetzt in der Pflicht.“ Die Gruppe würde deshalb durch den Bahnhof laufen, damit die Betroffenen ihren Ärger abladen könnten. „Das ist völlig legitim. Aber wir wünschen uns natürlich einen sachorientierten Diskurs.“