Haare sind das Material, das Angelin Preljocaj in „La Fresque“ wild schütteln und sanft streicheln lässt - an diesem Freitag und Samstag auch in Ludwigsburg.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Ludwigshafen - Hieße nicht schon ein Musical so, dann wäre „Hair“ ein super Titel für Angelin Preljocajs Tanzstück. Mit rebellischer Hippie-Haltung hat „La Fresque“ zwar nichts zu tun. Doch fliegen darin die Mähnen von fünf Tänzerinnen so wild durch den Raum, dass Haare und ein selbstbestimmtes, freies Leben zum Synonym werden.

 

Entsprechend begeistert regierte das Publikum Anfang der Woche im Ludwigshafener Pfalzbau auf das Gastspiel der französischen Kompanie aus Aix-en-Provence. Und gewiss wird das an diesem Freitag und Samstag nicht anders sein, wenn Preljocajs Tänzerinnen im Ludwigsburger Forum die Köpfe schütteln. Dabei will der zurzeit wohl international gefragteste zeitgenössische Choreograf aus Frankreich das Potenzial seines Materials in aller Brisanz überhaupt nicht ausschöpfen. Das hat der Franzose mit albanischen Wurzeln auch gar nicht nötig, nachdem er einst mit seiner Kompanie unter Protest aus Toulon zog, als der rechte Front National den Bürgermeister der Stadt stellte und gegen den „Albaner“ polemisierte.

Haare werden zur Rüstung

Sicherlich, da gibt es in „La Fresque“ den Moment, da vier Tänzerinnen einer Kollegin die Mähne strähnenweise wie einen Helm um den Kopf rüsten. Klassische Ballerinen uniformieren sich so, aber auch andere Motive der Verschleierung deuten sich da an. Und doch geht es Angelin Preljocaj um eine sehr viel poetischere Ebene, nämlich um die Grenze, die Wirklichkeit und fiktive Welten trennt.

Eltern männlicher Jugendlicher werden deshalb vor allem zu Beginn von „La Fresque“ einige Aha-Effekte erleben, wenn zwei Tänzer sich bodennah voranmühen. Die Zumutungen ihres Daseins sind spürbar hart – umso verlockender ist die Flucht in virtuelle Welten. In „La Fresque“ eröffnet das von fünf Tänzerinnen verkörperte Wandbild eine solch verführerische Perspektive, in die einer der Wanderer abtaucht. Computerspiele sind in unserer Aktualität für viele die gängigere Wahl.

Haare schweben wie Medusen

Projektionen von Haarsträhnen eröffnen in „La Fresque“ auch dort grandiose Spielräume, wo choreografisch vor allem in der ersten Hälfte nur Bewegungsklischees verhandelt werden. Enttäuscht davon, taucht man dankbar ab in diese Bildwelt: Wie vielarmige Medusen in der Tiefsee, wie ferne Galaxien am Nachthimmel, wie Schlingpflanzen im Dschungel schweben in „La Fresque“ animierte Haare als Pinselstriche der Fantasie über die Bühne. Der Tanz tut sich da, auch wenn er sich zum entsprechend vielseitigen Soundtrack mal afrikanisch, mal jazzig, mal rockig gibt, sehr viel schwerer. Erst spät findet das zehnköpfige Ensemble zu einer entfesselten, zunehmend an Farbe gewinnenenden Leichtigkeit, die Neues möglich macht und zwischen Kitsch und Klischee auch Kunst durchscheinen lässt. Dann werden Haare zu Himmelsleitern, an denen die Tänzer wie Luftakrobaten turnen dürfen.

Auch wenn „La Fresque“ nicht zu den stärksten Stücken Preljocajs zählt, macht es beste Werbung für das System der Centres choréographiques nationaux, die – wie das in Aix – qualitätvollen Tanz in der französischen Provinz etabliert haben. 1984 vom sozialistischen Kulturminister Jack Lang etabliert, stehen sie für eine Politik der Diversität und Achtsamkeit, die heute viele vermissen.

An diesem Freitag und Samstag, jeweils um 20 Uhr, im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg