Bei einem „Bandidos“-Treffen in Málaga zertrümmert ein 48-Jähriger einem Mann aus Winnenden das Gesicht. Für die Tat wird er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Während der Angeklagte gesteht, gerät nicht nur das Opfer am Landgericht Stuttgart gehörig ins Schwimmen.

Wäre er ein Boxer, würde man ihm wohl ohne Zweifel Nehmerqualitäten attestieren. Im Herbst 2020 gerät ein Handwerker aus Winnenden auf einer Feier des Bandidos Motorcycle Club (BMC) im spanischen Küstenort Málaga mit einem Rocker aus Eindhoven aneinander. Es ist Alkohol im Spiel, im Lauf des Abends eskaliert der Streit. Mit gezielten Faustschlägen und Tritten zertrümmert der heute 48 Jahre alte Niederländer seinem Kontrahenten den zentralen Gesichtsschädel. Außerdem zieht er ihm einen Gegenstand über den Kopf. Bei späteren Untersuchungen wird sogar eine Hirnblutung diagnostiziert.

 

Richter spricht von „dramatischem Verletzungsbild“

Der Schwabe kassiert richtig, K. O. geht er aber nicht. Blutüberströmt und mit schweren Schwellungen lässt sich das Opfer in sein Hotel bringen, fliegt am nächsten Tag eigenständig nach Memmingen zurück. Joachim Holzhausen, der Vorsitzende Richter am Stuttgarter Landgericht, spricht beim Prozessauftakt am Montag von einem „dramatischen Verletzungsbild“. Insgesamt vier Operationen sind notwendig, um das Gesicht des Mannes zu richten. Damit er keine Doppelbilder mehr sieht, muss ein Augenhöhlenbogen mit einem speziell angefertigten Implantat stabilisiert werden. Eine Narbe auf der Stirn wird ihn wohl für immer zeichnen.

Keine Antworten auf einfachste Fragen

Umso bemerkenswerter ist, dass sich der 50-Jährige im Zeugenstand weder an den Abend im Bandidos-Clubhaus noch an den Streit selbst erinnern will. Auch den Angeklagten habe er noch nie gesehen, beteuert er in Saal 1 des Landgerichts. Sehr zur Verärgerung von Richter Holzhausen. „Ihnen glaubt im Raum keiner. Was Sie erzählen, ist barer Unsinn“, so die Einschätzung des erfahrenen Juristen. Als ein weiterer Zeuge, ebenfalls ein Rocker, sich mit ähnlichen Gedächtnislücken aus einfachsten Fragen herauswinden will, platzt ihm der Kragen. „Ich bin ein geduldiger Mensch und mit der Szene vertraut, aber verarschen lasse ich mich nicht. Die Kinderspiele können wir uns sparen.“

Zumal der Richter eindeutige Protokolle aus Whatsapp-Chats, die von Ermittlern des Landeskriminalamts sichergestellt wurden, im Gerichtssaal präsentieren kann. Gleich mehrfach hat das Opfer an besagtem Wochenende noch Nachrichten verschickt, die zeigen, dass er sich sehr wohl an den Streit erinnert. Auch den Niederländer, mit dem er auf Gruppenbildern sogar abgelichtet wird, nennt er als Haupttäter. „Eine deutsche Eiche fällt nicht, mehr haben die nicht drauf“, schreibt er außerdem mehreren Freunden. Mögliche Gründe für die Auseinandersetzung liefert er ebenfalls per Whatsapp. Offenbar hat er den späteren Täter einmal zu oft kritisiert. Dass die jahrelange Mitgliedschaft des Opfers einen Tag vor der Attacke beendet wurde, könnte ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Deutlich verkürztes Verfahren

Angesetzt ist der Prozess – versuchter Totschlag lautet die Anklage – auf vier Tage, letztlich bleibt es bei einem. Hinter verschlossenen Türen einigen sich die Richter, die Staatsanwaltschaft und die Verteidiger auf eine „Verfahrensabsprache“, die einen verkürzten Prozess ermöglicht. Der Hauptgrund: Der Täter, der in Deutschland nicht vorbestraft ist, gesteht und zeigt Reue vor Gericht. „Er hat die alleinige Verantwortung übernommen“, so Holzhausen beim Urteilsspruch. „Viel mehr als das Geständnis, das von den Whatsapp-Protokollen gestützt wird, haben wir nicht.“ Ob unbekannte Dritte involviert gewesen seien, lasse sich nicht mehr nachvollziehen, ebenso eine mögliche Planung.

Angeklagter zeigt vor Gericht Reue

Der 48-Jährige, der mit Oldtimern handelt und selbstständig im Security-Bereich tätig ist, wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Zwar sei der Tod billigend in Kauf genommen worden, das Opfer habe aber keine lebensgefährlichen Verletzungen erlitten. Mit dem Urteil folgt das Gericht letztlich der Empfehlung von Oberstaatsanwalt Peter Holzwarth, der in seinem Plädoyer betont, warum es so wichtig sei, dass solche Taten geahndet werden – obwohl selbst die Opfer kein Interesse an einer Strafverfolgung zeigen. „Was geht uns das also an?“, fragt er in die Runde. Im aktuellen Fall hatten die Mediziner die Polizei eingeschaltet und Informanten sich zudem beim Landeskriminalamt gemeldet. „Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit geschaffen, dass es uns etwas angeht. Eine Tat zum Nachteil eines deutschen Staatsbürgers gilt es zu verfolgen. Wir dürfen im Milieu die Flinte nicht ins Korn werfen“, so Holzwarth.