Am Mittwoch stellt die EU-Kommission ein Gesetz vor, das die Europäische Zentralbank zum Oberaufseher über Banken im Euroraum macht. Es ist die Voraussetzung für Hilfe aus dem Rettungsschirm.

Brüssel - Zwischen Karlsruhe und Straßburg liegen keine 90 Kilometer. Beide Städte werden am heutigen Mittwoch in den Abendnachrichten auftauchen – so viel ist sicher. Im Badischen spricht das Bundesverfassungsgericht ein möglicherweise historisches Urteil zum europäischen Einigungsprozess im Allgemeinen und dem Euro-Rettungsschirm ESM im Speziellen. Und im Elsass stellt EU-Kommissionschef José Manuel Barroso vor dem Europaparlament das Gesetzespaket vor, das die Bankenaufsicht in Europa revolutionieren soll und in sich einen gewaltigen Integrationsschritt darstellt. Der neue Gesetzestext liegt der StZ bereits vor.

 

Die Kommission setzt den Wunsch des EU-Gipfels um

Barrosos Behörde kommt mit dem Gesetzentwurf einem Wunsch des EU-Gipfels vom 29. Juni nach. Genauer gesagt war es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine gemeinsame Bankenaufsicht für die Eurozone als Voraussetzung definierte, um angeschlagene Banken direkt mit Geld aus dem Rettungsfonds ESM zu retten. Das ist in der Logik der Staats- und Regierungschefs nötig, um – wie sie in ihrer Gipfelerklärung schrieben – dem „Teufelskreis“ von Banken- und Staatsschuldenkrise zu entrinnen. Europäische Geldspritzen sollen nicht erst an den betreffenden Staat fließen und dessen Defizit erhöhen. Vor allem Spanien dringt auf solch ein Vorgehen.

Der von Merkel ausgehandelte Preis dafür ist die Abgabe von Souveränitätsrechten: Die Banken unterstehen nicht länger der nationalen, sondern einer europäischen Aufsichtsbehörde, die vielleicht weniger Skrupel hat, eine Pleitebank auch einmal zu schließen. Die „Durchgriffsrechte“ der europäischen Ebene auf die Lage vor Ort ist der Bundesregierung besonders wichtig, wie Regierungskreise dieser Tage erneut betonten: „Wir haben großes Interesse daran, dass es eine starke europäische Bankenaufsicht gibt.“

Die Zentralbank bekommt viele neue Zuständigkeiten

Diesem Berliner Wunsch kommt Brüssel in jedem Fall nach. Gleich der vierte Artikel der neuen Richtlinie listet eine Fülle neuer Zuständigkeiten für die Europäische Zentralbank auf: Sie kann Geschäftsbanken die Zulassung erteilen oder entziehen. Sie bewertet Zukäufe, die Tauglichkeit des Geschäftsmodells und überwacht, ob Recht und Gesetz eingehalten werden. Die Frankfurter Zentralbanker werden laut Gesetzentwurf einem Geldhaus entsprechende Vorsichtsmaßnahmen wie höhere Eigenkapitalpuffer oder gleich ein neues Management verordnen können. Sie hätten das Recht, Stresstests durchzuführen, mit denen die Widerstandsfähigkeit eines Instituts im Krisenfall simuliert wird. Und grenzüberschreitend tätige Banken – möglicherweise mit Holdings in einem anderen EU-Staat – werden aus einer Hand beaufsichtigt. Das beinhaltet, dass der EZB alle Informationen zugänglich gemacht und die Bücher geöffnet werden müssen.

„Zur Erfüllung dieser Aufgaben“, so ist in Artikel 8 der Richtlinie zu lesen, „wird die EZB im teilnehmenden Mitgliedstaat als die zuständige Behörde angesehen.“ Das ist eine vollständige Entmachtung nationaler Aufseher. „Sie müssen Anweisungen der EZB Folge leisten“, heißt es ganz unmissverständlich bereits in Artikel 5.

Der nationalen Aufsicht bleiben nur wenige Aufgaben

Formal bleiben etwa der deutschen Aufsicht Bafin nur wenige originäre Zuständigkeiten erhalten: Ein Mitarbeiter der EU-Kommission nennt den Kampf gegen Geldwäsche und die Financiers des Terrorismus. In rein nationaler Zuständigkeit bleiben demnach auch die Umsetzung der Regeln des europäischen Zahlungsraums Sepa und der Verbraucherschutz. Möglich ist auch, dass die Behörden in den Mitgliedstaaten das aufseherische Alltagsgeschäft übernehmen.

Alle rund 6000 Banken in den 17 Euroländern sollen nach den Plänen der EU-Kommission unter Aufsicht der Zentralbank stehen. Das ist – da der zuständige Kommissar Michel Barnier dies schon vor Wochen öffentlich machte – der strittigste Punkt. So sprach sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in seiner Rede am Dienstag vor dem Bundestag dafür aus, nur vermeintlich systemrelevante Banken der EZB zu unterstellen. Für Barnier dagegen ist deren Kontrolle nur der erste Schritt: Laut Gesetzentwurf soll die Zentralbank am 1. Mai nächsten Jahres eine Liste jener Banken veröffentlichen, deren Bankrott das Finanzsystem zum Einsturz bringen könnte, und diese vom 1. Juli 2013 an beaufsichtigen. Spätestens am 1. Januar 2014, ein Jahr nach dem geplanten Inkrafttreten der Verordnung, soll die EZB Zugriff auf alle Banken haben.

Die Landesbanken sollen nicht geschont werden

Brüssel argumentiert, Probleme hätten in der Krise auch kleinere Banken gemacht. Im Bundesfinanzministerium wiederum ist man durchaus bereit, den Kreis systemrelevanter Institute weit zu fassen. Es gibt offenbar kein Verlangen, etwa die Landesbanken zu schonen. Berlin steht aber wie schon bei der ersten europaweiten Regulierung 2008 unter dem Druck der Sparkassen und Volksbanken, die mit ihren regional begrenzten Geschäften keine Mitschuld an der Krise trugen und daher an der bewährten Praxis festhalten. In der EU-Kommission wird betont, der Vorschlag laufe praktisch auf die Position Schäubles hinaus: die Zentralbank könne die nationalen Aufseher mit der Überwachung lokal tätiger Geldinstitute betrauen und nur im Ernstfall von ihrem Eingriffsrecht Gebrauch machen. „Das“, betont ein Experte aus Barniers Umfeld, „wäre aber die Entscheidung der EZB.“ Daran gibt es nicht zuletzt juristische Zweifel. Denn im EU-Vertrag heißt es in Artikel 127, die Bank dürfe nur „besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute“ übernehmen.

In den zehn Nicht-Euroländern geht die Sorge um, dass der Binnenmarkt der 27 EU-Staaten gefährdet wird, wenn in einem so wichtigen Bereich wie dem Bankensektor 17 Länder gemeinsam agieren. Der Gesetzentwurf sieht daher die Möglichkeit vor, dass EZB und Nicht-Eurostaaten schriftlich eine enge Kooperation vereinbaren. In diesen Ländern würde die Bank dieselben Aufsichtspflichten übernehmen. Zudem gehört zum Gesetzespaket eine Änderung der Rechtsgrundlage der EU-Bankenaufsicht EBA in London. So soll verhindert werden, dass Nicht-Eurostaaten permanent von der EZB als Vertreterin der Euroländer überstimmt werden. Ein Repräsentant der EBA darf zudem als Beobachter an den Sitzungen in Frankfurt teilnehmen.

Die Gipfelentscheidung ist umstritten

Die Gipfelentscheidung, die Zentralbank zum Oberaufseher zu machen, ist von Anfang an umstritten gewesen. Ökonomen sehen einerseits die Unabhängigkeit in Gefahr, da eine Aufsichtsbehörde weisungsgebunden und den Parlamenten rechenschaftspflichtig ist. Andere fürchten um den guten Ruf der Bank, da Aufseher über die Zeit fast zwangsläufig auch Fehler machten. Politiker wiederum kritisieren die mangelnde demokratische Kontrolle und den weiteren Machtzuwachs einer Institution, die gerade nach dem kürzlich beschlossenen Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer manch einem unheimlich wird.

„Die Organe der Union, ihre Agenturen sowie ihre Mitgliedstaaten werden diese Unabhängigkeit respektieren“, heißt es daher in Artikel 16. Im folgenden Artikel ist eine Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament festgeschrieben. Abgesehen davon ist geregelt, dass die Bank ihre Aufsichtspflichten „separat von den mit der Geldpolitik verbundenen Aufgaben ausübt“. Dazu muss die EZB intern eine neue Art von Aufsichtsgremium einrichten, das aus Vertretern der 17 nationalen Aufsichten in der Eurozone sowie vier Vertretern der Zentralbank selbst besteht. Dieses Gremium wäre es auch, das einen Teil der Geschäfte wieder auf die nationale Ebene zurückverlagern könnte.