Wenn in Deutschland über Fachkräftemangel diskutiert wird, ist die Bauwirtschaft immer ganz vorne dabei. Die Branche braucht mehr und besser qualifizierte Arbeitskräfte. Jetzt gibt es einen Hoffnungsschimmer.

Stuttgart - Die Krise der Bauwirtschaft ist längst vorüber, aber sie wirkt immer noch nach. Damals, nach dem Ende des Wiedervereinigungsbooms, gingen große Konzerne wie Philipp Holzmann und Walter Bau unter, und von den einst 1,4 Millionen Jobs im Bauhauptgewerbe blieb gerade mal die Hälfte übrig. Obwohl die Branche vor allem durch den Wohnungsbauboom seit Jahren wieder stabil wächst und auch Arbeitsplätze schafft, haben die Menschen das nicht ganz vergessen, wie auch Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, weiß.

 

„Das hat natürlich stark am Image gekratzt“, sagt der 56-jährige Jurist. „Wir merken das beispielsweise auch bei den Eltern, bei denen wir oft Überzeugungsarbeit leisten müssen, etwa im Hinblick auf die Attraktivität der Bauberufe und die zahlreichen Aufstiegsmöglichkeiten.“ Ist der Nachwuchs, der in Kampagnen wie „Bau dein Ding“ angesprochen wird, oft begeistert von der Technik und fühlt sich zum Beispiel als Baugeräteführer in den modernen Hightech-Maschinen wie im Cockpit eines Kleinflugzeugs, so sind die Eltern skeptischer und tendieren nicht selten eher zum Fließband in der Autofabrik.

Die Branche hat den Umsatzverlust aufgeholt

Aber die Branche kann auf Erfolge verweisen. Im vorigen Jahr ist die Zahl der Lehrlinge in Baden-Württemberg erstmals seit vielen Jahren wieder gestiegen. Das Baugewerbe steckt nach Möllers Worten viel Geld in seine Nachwuchskampagne und sieht sich dabei auf dem richtigen Weg. Aber der Mangel der vergangenen Jahre hat Lücken gerissen: Statt 1870 neue Lehrverträge wie im vorigen Jahr bräuchte der Bau in Baden-Württemberg eigentlich jährlich 2300 bis 2500, hat der Landesverband ausgerechnet.

Aber es geht nicht nur um Auszubildende. Gegenwärtig sind es vor allem die bereits ausgebildeten Fachkräfte, die den Betrieben fehlen. Wird in Deutschland über das Thema Fachkräftemangel diskutiert, dann gehört das Baugewerbe zu den ersten Branchen, die genannt werden. Denn im Hoch- und Tiefbau sowie dem Straßenbau boomt es seit einigen Jahren. Im Vorjahr ist der Umsatz im Bauhauptgewerbe im Südwesten um 7,8 Prozent auf 15,7 Milliarden Euro gestiegen. Bundesweit hat der vom Wohnungsbau getriebene Aufschwung sogar dazu geführt, dass das Umsatzniveau vor Ausbruch der Krise mittlerweile wieder erreicht ist. Und etwa 100 000 Jobs sind seit dem Tiefpunkt vor etwa zehn Jahren neu entstanden.

„Eine Verschärfung ist nicht festzustellen“

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit relativiert die Klagen im Bausektor über einen Fachkräftemangel: „Bei unserer aktuellen Befragung haben uns die Betriebe der Baubranche gesagt, dass es im vorigen Jahr in 41 Prozent der Fälle Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung gab“, sagt der Arbeitsmarktexperte Alexander Kubis über die Ergebnisse der jüngsten IAB-Stellenerhebungen, in denen regelmäßig die Personalpläne abgefragt werden. „Diese Schwierigkeiten haben sich in den Jahren 2010 bis 2013 aufgebaut und liegen seitdem auf diesem Niveau. Eine Verschärfung ist aber nicht festzustellen.“ Einfach ist die Suche nicht, zum Beispiel für Betriebe im Hoch- und Tiefbau, die Aufsichtskräfte mit einem Meisterabschluss suchen, schreibt die Arbeitsagentur in einer Analyse.

Geht es nach dem Verbandsvertreter Möller, dann muss die Branche nicht einfach nur Personal einstellen, um all die neuen Aufträge abzuarbeiten, sondern auch bei der Qualifikation nachlegen. „So gut unsere Firmen auch den 40- oder 50-jährigen Hilfsarbeiter aus Rumänien gebrauchen können: Es kommt eher darauf an, den Facharbeiter oder den Ingenieur hier in Deutschland auszubilden, damit er unsere Normen und unsere Bauweise kennenlernt“, sagt er. Denn 40 Prozent der Beschäftigten in Baden-Württemberg beziehen nach den Daten der Sozialkasse Bau keinen Facharbeiterlohn, weil sie keine Facharbeiter sind. Möller: „In einzelnen Regionen geht das sogar hoch auf bis zu zwei Drittel. Das ist erschreckend.“ Zusätzlicher Druck entsteht dadurch, dass ein Drittel dieser Facharbeiter in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand geht.

Ausländische Subunternehmen helfen nur den Großen

Entsprechend groß ist der Fachkräftebedarf, wie auch der IAB-Experte Kubis beobachtet: „Die Chancen für Leute mit einer guten beruflichen Ausbildung haben sich innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre merklich verbessert“, sagt er. Den Anteil der offenen Stellen, die auf Akademiker abzielen, wertet der Experte als nicht besonders hoch; gute Ingenieure würden aber dennoch gesucht. Das sieht die Bauwirtschaft anders. Laut Verbandsschätzung brauchen Unternehmen, Verwaltung und Planungsbüros im Land pro Jahr 2800 Absolventen; die Hochschulen im Südwesten haben aber nur 1200 Studienplätze. Eine Abbrecherquote von etwa 40 Prozent verschärft das Problem.

Die Branche kämpft vielfach mit Hilfe von ausländischen Subunternehmen gegen die Engpässe an. Von 2009 bis 2017 hat sich die Zahl der nach Deutschland entsandten Mitarbeiter von Subunternehmen aus dem EU-Ausland auf gut 100 000 Arbeitskräfte verdoppelt. Aus Sicht von Möller ist das aber nur eine Lösung für große Unternehmen, die dann mit einheimischen Polieren die Arbeit der Subunternehmen organisieren können.

Obskure und halblegale Vertragskonstruktionen

Die Branche wird aber von Kleinunternehmen dominiert. Nur 0,3 Prozent aller Betriebe haben 200 und mehr Mitarbeiter. Das macht Arbeit, wie Möller erzählt: „Vor allem kleine Betriebe müssen wir als Verband manchmal vor sich selbst schützen, weil sie sich in ihrer Not in obskure und halblegale Vertragskonstruktionen mit angeblichen Solo-Selbstständigen aus Osteuropa einlassen wollen.“ Der Hauptgeschäftsführer und seine Mitarbeiter sagen diesen Mitgliedern dann oft, dass eine bestimmte Konstruktion nicht geht, weil die Ausländer zum Beispiel nicht die Befähigung zum Selbstständigen haben. Möller: „Dann ist die Enttäuschung groß.“