Es ist nur eine Kegelbahn. Doch die hat in der sächsischen Gemeinde Wülknitz ein kleines Wunder bewirkt. Seit der Eisenbahnersportverein Lok Wülknitz über das neue Sportlerheim mit vier Kegelbahnen, Umkleiden und Ausschank im Ortskern verfügt, geht es wieder aufwärts. Die Mitgliederzahlen steigen, die Dorfbewohner haben einen attraktiven Treffpunkt. Dass das Dorf aufblüht, ist auch der Erfolg herausragender Baukultur: Denn Wülknitz griff bei dem Projekt zum Instrument eines Architekturwettbewerbs, was in Ortschaften dieser Größenordnung – 700 Einwohner – außergewöhnlich ist. Der Siegerentwurf des in Stuttgart und Leipzig ansässigen Büros KO/OK Architekten ist vielfach preisgekrönt.
Blaibach als Musterbeispiel
Qualitätvolle Architektur kann entscheidend zur Vitalisierung von Dörfern beitragen. Eines der bekanntesten Beispiele ist Blaibach in Bayern. Die vom Niedergang gebeutelte Kommune kaufte brachliegende Grundstücke, gestaltete einen neuen Dorfplatz und errichtete ein Konzerthaus, das sich als gekippter Felsblock aus dem Erdreich schiebt. Dank Peter Haimerls radikalen Architektursprache und der hochgelobten Akustik ist Blaibach im Bayerischen Wald Kulturliebhabern auch weit jenseits des Ortsschilds ein Begriff.
Im Dachgeschoss einer Scheune
Was Architektur „zu einem guten Leben auf dem Land beitragen kann“, führt mit siebzig Bauten und Projekten aus Deutschland und europäischen Nachbarländern die neue Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM) vor Augen. Passenderweise hat das Frankfurter Haus die Schau „Schön hier. Architektur auf dem Land“ in die Provinz ausgelagert: in das Obergeschoss einer wieder errichteten Scheune aus der Gemeinde Sand aus dem Jahr 1742 im weitläufigen Freilichtmuseum Hessenpark im Taunus, eine gute halbe Autostunde von der Main-Metropole entfernt. So erreicht die Ausstellung, die zudem in mindestens 15 weitere Orte wandern soll, zielgenau diejenigen, die das Thema betrifft.
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Auch das Timing ist perfekt: Dass das Leben auf dem Land „trendet“, war schon vor Corona ein Fakt. Die Pandemie mit ihren Veränderungen für das Arbeitsleben und Mobilitätsverhalten hat die Absetzbewegungen raus aus den überteuerten urbanen Zentren, rein in die Klein-Siedlungen zwischen Kirchturm und Futtersilo anschwellen lassen.
Mehr als die Hälfte der Deutschen lebt auf dem Land
Die jahrzehntelange Fokussierung auf die Stadt hat die Realitäten verzerrt, das sagen die Zahlen klipp und klar: Denn nur 200 der 10 800 Gemeinden in Deutschland haben mehr als 50 000 Einwohner. Neunzig Prozent der Fläche in Deutschland sind ländlich geprägt – und der Lebensort für 47 Millionen Menschen. Was bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Deutschen das sind, was viele spöttelnd-herablassend „Landeier“ nennen.
„Die ganze Welt spricht vom Prozess der Urbanisierung und dass in Zukunft die Hälfte der Menschen in Städten leben wird. Mein Interesse gilt der anderen Hälfte.“ Diesen Satz des finnischen Architekten Sami Rintala macht sich die unter freigelegten Dachsparren rustikal und atmosphärisch stimmig inszenierte DAM-Schau ebenfalls zum Auftrag.
Aus Donuts müssen wieder Berliner werden
Leerstand in den Kernen, Eigenheim-Wucherungen an den Rändern, bekannt als „Donut“-Phänomen, Infrastrukturschwund: Das Land ist multipel problembeladen. Die vorgestellten Projekte wirken als therapeutische Maßnahmen. Weil sie helfen, aus Donut-Dörfern wieder Krapfen, Schwäbisch: Berliner, zu machen, wo das Beste in der Mitte ist. Das Kuratorenteam hat also Beispiele zusammengetragen, die am Rand von Ackerfurchen zeitgemäße, innovative Arbeitswelten schaffen, die Bestandsbauten wertschätzen und sie doch zukunftsträchtig umdefinieren, und die nicht nur jungen, zugezogenen Städtern, sondern auch Alteingesessenen und Alten Lebensqualität bieten. Dies alles in Berücksichtigung und zur Stärkung der jeweiligen regionalen Identität und möglichst auch der Nachhaltigkeit.
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Baukultur als Selbstbewusstseins-Generator fürs Dorf kann viele Funktionen und Größen annehmen. Die Bandbreite reicht von der kleinen, genossenschaftlich errichteten Bergkapelle und dem Gemeindezentrum, das auch einen Kindergarten und Dorfladen beinhaltet, über die zeitgemäße Variante eines Auszugshauses, also einem Wohnsitz für Altbauern, bis zum strohgedämmten Mehrfamilienhaus oder einem landschaftssensiblen Campingplatz. Wobei bei der eher spärlich vertretenen Funktion Wohnen der Aufbruch zu neuen, gemeinschaftlichen Ansätzen in der Provinz scheinbar eher in der Schweiz und in Frankreich zu finden ist als in deutschen Landen.
Vorbildlich, wie das schweizerische Cressier seinen Dorfkern wieder in Schwung brachte: Durch an der historischen Bauweise ausgerichteten Um- und Neubau gewann der Ort nicht nur 19 Wohnungen hinzu, sondern auch einen die Gemeinschaft stärkenden Platz. In Kressbronn am Bodensee wandelte sich durch das Büro Steimle Architekten ein Heustadel in eine Gemeindebücherei – die Stuttgarter Planer überführen dabei ländlich-traditionelle Bauweisen gekonnt ins Zeitgenössische und werten den Ort damit auf.
Schwerpunkt Schwarzwald
Dass eine starke regionale Baukultur ein Aushängeschild ist, Tourismus und Wirtschaft ankurbelt, machen Regionen wie Vorarlberg oder Graubünden schon lange vor. Der Schwarzwald heftet sich gerade diesen Vorbildern an die Fersen, ohne sie platt zu kopieren. Die Region erhält deshalb einen Schwerpunkt in der Schau, wie auch Thüringen und die Gemeinden Krumbach (Österreich) und Valendas (Schweiz).
Nicht immer nur die Stadt ist Pionier und Vorbild, auch das Land kann vorangehen – dies ist die wertvolle Botschaft dieser gelungenen Ausstellung.
Ausstellung und Katalog
Neu-Anspach
Das Deutsche Architekturmuseum zeigt „Schön hier. Architektur auf dem Land“ bis 27. November im Freilichtmuseum Hessenpark, Laubweg 5, 61267 Neu-Anspach/Taunus. Geöffnet bis 31. Oktober täglich 9-18 Uhr, Einlass bis 17 Uhr, ab 1. November Sa, So und Feiertage 10-17 Uhr, Einlass bis 16 Uhr.
Publikation
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der sämtliche in der Ausstellung gezeigten Projekte in Bild und Text vorstellt: Annette Becker, Stefanie Lampe, Lessano Negussie, Peter Cachola Schmal (Hg.): Schön hier. Architektur auf dem Land. Hatje Cantz, Berlin. 336 Seiten. 40 Euro (im Buchhandel), 29,90 Euro (im Museumsshop).
Sanierung
Das Museumsgebäude des DAM am Schaumainkai wird derzeit saniert. Das Ausweichquartier befindet sich im Frankfurter Ostend in der Henschelstraße 18.