Ditzingen in einem Atemzug nennen mit Kassel und Mailand? Eine Diskussion um mehr Natur in der Stadt, macht es möglich. Dabei entstehen ungewöhnliche Allianzen.

Ditzingen - Fritz Hämmerle ist einer der ruhigen in der Ditzinger CDU-Gemeinderatsfraktion. Nun aber fühlt er sich herausgefordert, provoziert im allerbesten Sinne. Dafür verantwortlich ist ausgerechnet sein Parteifreund Ulrich Bahmer. Der Bürgermeister hatte in einem Wahlversprechen vor einigen Jahren angekündigt, 1001 Bäume in der Stadt zu setzen. Vor wenigen Wochen schränkte die Verwaltung ein, die Standorte würden knapp. Städtische Flächen müssten entweder entsiegelt oder neue erworben werden. „So ein Unsinn“, hält Hämmerle dem entgegen. „Ich werde Ulrich Bahmer zeigen, wo man noch pflanzen kann. Wenn es sein muss, setzen wir die Bäume alle in Heimerdingen.“

 

Hämmerle sagt das lachend, ein Streit mit dem Bürgermeister in dieser Sache ist ihm fern. Gleichwohl ist es ihm ernst damit. Hämmerle, der Agraringenieur, verdiente sein Geld mit der Begrünung extremer Standorte, etwa dem Grünen Heiner oder den Böschungen rechts und links der Bodenseeautobahn, also der A 81 zwischen Stuttgart und Singen. Auch jetzt, im Ruhestand, treibt ihn das Thema um. Hämmerle wirkt bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) mit, er will dort dafür werben, Stadt und Natur nicht länger als Gegensatz zu sehen. Hämmerle ist ein großer Verfechter von „Biotope City“. Das städteplanerische Konzept will den Gegensatz von Stadt und Natur aufheben. Begründet wird das mit der Erkenntnis, dass die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen in der Stadt heutzutage bisweilen höher ist als auf dem Land. „Lassen wir den Landwirten ihre Flächen“, fordert Hämmerle. Dass die Monokultur die Artenvielfalt zerstört, verhehlt er nicht. Aber „die Landwirte erzeugen Lebensmittel. Sie brauchen die Artenvielfalt nicht“. Statt um Ackerrandstreifen zu diskutieren, solle man sich auf die Innenstadt konzentrieren.

Um Beispiele nicht verlegen

Beispiele, wie Natur außer mit Flachdachbegrünung in die Stadt zu holen ist, kann Hämmerle einige nennen. Auf jedem Kreisverkehr gebe es Möglichkeiten. Und mittels moderner Technik zerstöre die Fassadenbegrünung auch keine Hauswand mehr. Zudem stellt er fest: „Wir haben viel zu breite Wohnstraßen.“ Er will die Parkplätze längs der Fahrbahn erhalten, löst sich aber von der herkömmlichen Sichtweise, zwischen den Parkplätzen sei Platz für einen Baum. Er sagt: „Zwischen den Bäumen ist Raum für Parkplätze.“

Es wundert nicht, dass Hämmerle mit diesen Gedanken offene Türen bei den Ratskollegen der Grünen einrennt. Doch Ulrich Steller beispielsweise ist skeptisch, die Realität in Ditzingen bleibe hinter diesen Ansichten weit zurück. Man müsse „freudiger und energischer“ das Konzept verfolgen, die Stadt als Biotop zu betrachten. Grünareale als Gegengewicht zur Verdichtung müssten gestärkt werden. Es sei stets eine Abwägung, aber „es ist mir wichtig, die ökologischen Aspekte gleichwertig zu behandeln“. Grundsätzlich bestünde darüber im Gremium ja Konsens, so Steller. „Aber wenn es um Baum oder Parkplatz geht, wird meist der Parkplatz gemacht.“

Mailand im Jahr 2030

Während Hämmerle Ditzingen auf einem „guten Weg“ sieht, ist Steller zurückhaltend. „Befindet sich Ditzingen wirklich schon in guter Gesellschaft mit ökologischen Pionierstädten wie Mailand oder Kassel?“, fragt er. Hämmerles Vergleich sei kühn, aber was nicht sei, könne durchaus werden – „sobald dafür alle politischen Akteure an einem Strang ziehen“.

Tatsächlich hatte Hämmerle als Vorbild Mailand angeführt. Die norditalienische Metropole will bis zum Jahr 2030 drei Millionen neue Bäume setzen. Realistischer scheint ihm freilich das Beispiel von Kassel zu sein. Anlässlich der documenta setzte der Künstler Joseph Beuys Anfang der 1980er Jahre mit Helfern unter anderem 7000 Bäume. Anfangs waren sie umstritten, heute sind sie stadtbildprägend.