Baupolitik Architekten: „Neubau von Einfamilienhäusern verbieten“

Andrea Gebhard ist seit 2021 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Foto: Laurence /Chaperon

Das Bauen und Wohnen muss sich verändern, sagt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Im Interview verrät sie, wie sie sich das Leben in Stadt und Land vorstellt – und was die Politik tun muss.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

In den Großstädten fehlen Wohnungen, die Mietpreise steigen immer weiter. Gleichzeitig gibt es Regionen mit Leerstand. Wie begegnet man diesen Problemen? Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, erzählt im Interview, was aus Ihrer Sicht getan werden muss.

 

Frau Gebhard, sind Sie ein optimistischer oder pessimistischer Mensch?

Ich bin auf jeden Fall Optimistin!

Angesichts der vielen Horrornachrichten aus der Baubranche und dem Wohnungsmarkt: Was gibt Ihnen Zuversicht?

Es gibt ganz viele Bereiche, in denen es voran geht. Zunächst mal steigen die Bauzinsen nicht weiter und auch die Kosten für Baumaterialien haben sich nach einem extremen Preissprung wieder normalisiert. Auch freut es mich, dass die Bundesregierung das Thema Verfahrensbeschleunigung angeht, damit wir in Zukunft schneller bauen können – vor allem Wohnungen.

Die Politik setzt auf Neubau, um die Wohnungskrise zu lösen. Kanzler Scholz schlägt auch neue Stadtviertel auf der grünen Wiese vor. Ist das der richtige Weg?

Neue Wohngebiete sind mitunter notwendig, sollten aber die Ausnahme, nicht die Regel sein. Denn wir versiegeln in Deutschland mehr Fläche als nachhaltig ist. Was wir stattdessen tun sollten, ist in Städten bestehende Gebäude aufzustocken und Baulücken zu schließen. Umnutzen, Aufstocken, Aufwerten – das Potenzial unseres Gebäudebestands für mehr Nachhaltigkeit ist riesig!

Aber in den Städten ist es heute oft schon eng und es fehlen Grünflächen. Wie soll das gehen?

Gerade mit Blick auf den Klimawandel ist es entscheidend, dass mehr Grünflächen entstehen. Sie kühlen die Stadt im Sommer, bei Starkregen kann dort das Wasser versickern. Aber mehr Wohnraum und mehr Grün in der Stadt schließt sich nicht aus. Einerseits geht es darum, Fassaden und Dächer zu begrünen. Das erfordert keine neuen Flächen. Andererseits führt kein Weg daran vorbei, die Verkehrsflächen zu reduzieren. Im Klartext heißt das: Man muss Parkplätze und Straßen in Grünflächen umwandeln. Für das Auto wird es in der Stadt der Zukunft weniger Platz geben.

Viele Menschen fällt es schwer, auf das Auto zu verzichten.

Es muss den Menschen einfacher gemacht werden, Rad, Bus und Bahn zu nutzen. In vielen Städten ist es doch längst sinnvoller. Ich wohne in München, wenn ich da jemandem erzähle, ich fahre mit dem Auto zum Mariannenplatz, der zeigt mir doch einen Vogel. Wissen Sie, was ich nicht verstehe: Im Urlaub fahren die Menschen nach Italien und genießen in Rom oder Venedig den Trubel in den engen Gassen, das Leben auf den Plätzen. Und zu Hause möchte man am liebsten auf der Autobahn aus der Innenstadt bis kurz vor das eigene Grundstück fahren und dann niemanden mehr sehen.

Bauen ist inzwischen sehr teuer geworden – auch durch politische Vorgaben. Was muss sich hier tun?

Ein Konzept, von dem ich mir viel verspreche, ist der sogenannte Gebäudetyp E. Das E steht dabei für einfach oder auch experimentell. Dahinter steht die Idee, dass man nicht alle 3600 Baunormen berücksichtigen muss, sondern manche weglässt. Alles, was sicherheitsrelevant ist, wird natürlich erfüllt. Aber es gibt viele Punkte, die das Bauen teurer machen – und wenn sich Architekt und Bauherr einig werden, wo etwas weggelassen werden kann, dann spart man – und kann Wohnraum günstiger anbieten. Das Konzept bezieht sich übrigens nicht nur auf Neubau, sondern gerade auch auf Umbau und Umnutzung, zum Beispiel, wenn man Büroräume in Wohnraum umwandeln möchte.

Was ist denn eine Vorgabe, bei der man Abstriche machen könnte?

Man kann etwa die Wände dünner bauen. Dann ist das Haus zwar nicht mehr 100 Prozent gegen Trittschall isoliert, aber das sind die beliebten Gründerzeitbauten in den Großstädten auch nicht.

Wann rechnen Sie damit, dass diese Form des Bauens einen Unterschied im Wohnungsmarkt macht?

Da würde ich jetzt keine Prognose wagen, aber es gibt schon heute Pilotprojekte, die sind unglaublich wichtig. Derzeit arbeiten wir daran, dass diese Art des Bauens in der Breite einfacher umgesetzt werden kann.

Aktuell wird weniger gebaut. Trägt denn das, was fertiggestellt wird, zur Lösung der Wohnungskrise bei?

Das ist zu oft nicht der Fall. Entscheidend ist nämlich auch, wer baut. Man hat in den zurückliegenden Jahren gesehen, dass trotz eines Baubooms nicht unbedingt bezahlbarer Wohnraum entstanden ist. Deshalb muss der Staat Genossenschaften fördern und den sozialen Wohnungsbau. Entscheidend ist zudem, dass die Bindung von Sozialwohnungen länger andauert und nicht schon nach 25 Jahren ausläuft. Inzwischen ist es Konsens, dass es ein Fehler war, dass viele Städte Anfang der 2000er große Bestände an Wohnungen verkauft haben. Die Auswirkungen dieser Politik spüren wir heute.

Gewerkschaften fordern, dass man günstigen Wohnraum durch ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro schafft. Was halten Sie von der Idee?

Dass sich der bezahlbare Wohnungsbau seit Jahrzehnten nicht umsetzen lässt, grenzt schon an Politikversagen. Wohnen ist ein Grundrecht. Ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro einzusetzen könnte Abhilfe schaffen und einen signifikanten Schub auf dem Wohnungsmarkt darstellen. Man muss aber sicherstellen, dass solche Investitionen sorgfältig geplant und langfristig tragfähig sind.

Es gibt Gegenden in Deutschland, in denen gibt es keinen Wohnungsmangel, sondern viel Leerstand. Reden wir zu wenig über den ländlichen Raum?

Dank der Möglichkeit, Homeoffice zu machen, können viele Menschen ihren Wohnort heute flexibler auswählen. Aber es bleibt entscheidend, dass diese Gegenden attraktiv sind. Das beginnt mit den Klassikern wie Ärzten und Einkaufsmöglichkeiten – vor allem aber in der Anbindung mit Bus und Bahn. Es gibt Umfragen, die zeigen, dass viele Menschen sich vorstellen können, in kleinen Städten zu wohnen. Aber auch auf dem Land müssen sich Dinge ändern.

Was denn?

Wir müssen lernen, das wertzuschätzen, was da ist, und damit auskommen. Aber auch auf dem Land ist der Flächenverbrauch noch viel zu hoch. Hier sind die Gemeinden gefragt. Jede Kommune sollte ein Kataster der Potenziale haben, als richtiges Planungsinstrument, damit wir den Bestand besser nutzen können und die Flächenversiegelung stoppen können. Doch die weisen immer neue Gewerbegebiete aus, weil die Steuereinnahmen bringen. Und jede Generation baut ihr eigenes Einfamilienhaus – das ist nicht nachhaltig.

Für viele Menschen ist das ein Lebenstraum.

Das wird in Broschüren des Bausparvertrags suggeriert. Aber ist denn wirklich das Haus der Traum? Es geht darum eingebettet in einer Gemeinschaft mit viel Grün zu wohnen. Das kann man auch anders haben – und solche Projekte gibt es schon heute. Wenn wir nicht von selbst umdenken, wird man irgendwann nicht anders können, als den Neubau von Einfamilienhäusern zu verbieten. Einige Gemeinden schränken das ja schon ein. Und das ist sinnvoll, denn der Platz in Deutschland ist nun mal begrenzt.

Zur Person

Landschaftsarchitektin
Andrea Gebhard wurde 1956 geboren. Schon ihr Vater Helmut Gerhard war ein renommierter Architekt. Nach dem Studium der Landschaftsarchitektur in Berlin und Hannover arbeitete Andrea Gebhard für zwei Architekturbüros und ab 1984 für die Stadtverwaltung von München, wo sie später die Abteilung Grünplanung leitete.

Pionierin
Gebhard gehört auch dem Bund Deutscher Landschaftsarchitekten an, 2007 wurde sie als erste Frau an die Spitze des Verbands gewählt. Seit 2021 ist sie Präsidentin der Bundesarchitektenkammer.

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