In Heilbronn gibt es derzeit millionenschwere Bauvorhaben zuhauf – von der Bundesgartenschau 2019 über den Experimenta-Neubau bis zum Bildungscampus. Das zieht Arbeitskräfte und Firmen an. Nur etwas fehlt: Bauland.

Heilbronn - „Es gibt derzeit keine Stadt im Lande, in der sich so viel tut, die so spannend ist wie Heilbronn“. Darin sind sich die Rektorin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach/Heilbronn, Professor Nicole Graf und die Betriebsratsvorsitzende Doris Heinrich, von der „Bunten Liste“ für Heilbronn, einig. Auch OB Helmut Himmelsbach will das Wort „Mittelmaß“ für die Stadt nicht (mehr) gelten lassen, seit er in der „Frankfurter Allgemeinen“ unter dem Titel „Planbare Urbanität“ beschrieben hat, vor welcher Herausforderung die europäischen Städte stehen – verbunden mit der Frage, was sie einzigartig und lebenswert macht.

 

Es scheint, als hätte Heilbronn eine Antwort darauf gefunden. Dabei präsentiert sich die Stadt gerade unwirtlich wie selten: viele Baustellen, eine aufgerissene Allee, teils schon abgebrochene oder zur Sanierung anstehende Quartiere. Aber es entsteht auch etwas: beispielsweise die Stadtbahn Nord, die Heilbronn mit dem Rhein-Neckar Raum verbindet, auf innerstädtischen Arealen wachsen privat finanzierte Luxuswohnungen in die Höhe, Aufenthaltsqualität und öffentliche Räume haben gewonnen, was unter anderem der Kiliansplatz und die aufwendig gestalteten Uferpartien des Neckars beweisen.

Der OB lobt die Veränderungen in der Stadt

Auch überregionale Investoren klopfen jetzt im Rathaus an. Himmelsbach verweist dabei auf das Bau- und Investitionsvolumen sowie auf beeindruckende Kennziffern zur Kaufkraft. Und die architektonische Qualität in der Stadt sei gerade mit dem Hugo-Häring-Preis anerkannt worden. Jahrelang hatte sich Heilbronn um Hotels der gehobenen Klasse bemüht, jetzt entsteht eines am Bollwerksturm und ein weiteres im Industriepark Wohlgelegen. „Irgend etwas hat sich in Heilbronn verändert, sonst wäre das nicht so“, bilanziert der OB. Er verweist im Gespräch mit der StZ auch auf einen Coup seiner 2014 zu Ende gehenden Amtszeit: die Ansiedlung von Audi auf heimischer Gemarkung. Der größte Arbeitgeber der Region mit etwa 15 000 Mitarbeitern hat für diese 100-Millionen-Euro-Investition 17 Standorte geprüft und sich für Heilbronn entschieden. Ende des Jahres wird die Produktionsstätte unter anderem für den R 8 mit 1000 Arbeitsplätzen fertig sein. In die Stadtkasse sollen für das 23-Hektar-Areal angeblich 17 Millionen Euro geflossen sein.

Die Bauverwaltung ist gut beschäftigt und wird es auch bleiben – nicht nur wegen der Bundesgartenschau 2019. Auch der „Bildungscampus 2“ wird die Stadt prägen. Angepeilt sind 10 000 Studierende mitten in der Stadt, das aktuelle Etappenziel sind 7000. Investoren für weitere Studentenwohnheime klopfen bereits an. Für die Dieter-Schwarz-Stiftung als Impuls- und Geldgeber gibt es noch viel Luft nach oben. Allein der Aufkauf von Grundstücken und des „Hagenbucher“, dem Hauptgebäude der bisherigen „experimenta 1“ bescheren der Stadtkasse Millionen. Der Stifter und Unternehmer Dieter Schwarz gehört außerdem zu den finanzkräftigen Bürgern, die mit dem „Zukunftsfonds“ das Erfolgsmodell Wohlgelegen möglich machten – als Beispiel für Private-Public-Partnership. Die Stadt als Gewährs- und Risikoträger, Finanzier, Vermieter und die „Stadtsiedlung“ als ausführendes Organ haben mustergültige Industriebauten geschaffen, die dank dem Zukunftsfonds als Garant und Geburtshelfer für start-up-Unternehmen, vor allem aus der IT- und der Medizintechnikbranche, Ansiedlungen nach sich zog.

Es fehlen Bauplätze – noch

Mangel herrscht nur an Bauplätzen für den Zuzug qualifizierter Facharbeiter bis hin zu Spitzenkräften. Jetzt entsteht am Fuß des Wartberges ein neues Stadtviertel. In Heilbronn etabliere sich eine bürgerliche Schicht, sagt der OB. Solch „goldene Zeiten“ hatte Heilbronn schon einmal zu Beginn des Industriezeitalters. So wie damals gibt es auch heute private Mäzene und Stifter, um die sich der OB sichtlich bemüht. Ohne den Unternehmer Otto Rettenmaier gäbe es kein Haus der Stadtgeschichte, ohne den verstorbenen Ernst Franz Vogelmann keine Kunsthalle, keine „Wissensstadt Heilbronn“ ohne den Unternehmer Schwarz. Ein Verdienst des Gemeinderates ist es, dass es die kostenfreie Kinderbetreuung auch in Krisenzeiten gibt. Und seit Robert an der Brügge Geschäftsführer der „Stadtsiedlung“ ist, wurde aus der städtischen Tochter ein Musterkind. Vor Jahren schon initiierte er mit dem Mehrgenerationenhaus ein Vorzeigeprojekt. Anspruchsvolle Industriebauten, gehobener und sozialer Wohnungsbau, die Sanierung der Substanz – die Anforderungen in einer Stadt mit deutlichem Zuzug, einem Migrantenanteil von mehr als 40 Prozent und 130 Nationen sind hoch. „Gelegentlich muss man die Nerven behalten“ sagt er. Stolz ist er auf das Zentrum für Demenzkranke, das die Stadtsiedlung zentral eingegliedert hat in ein großes Wohnprojekt im Stadtteil Böckingen.

Der „Lokalen Agenda“ fehlt die gleichberechtigte Diskussion

Gerade hat die Stadt eine zweiten Bürgerumfrage in Auftrag gegeben. Uwe Ahrens, der Vertreter der „Lokalen Agenda“, seit Jahren eine wichtige Stimme in der Stadt, sagt, Urbanität im Städtebau könne zwar nicht verordnet werden, aber gelingen, „wenn interessierte Menschen in einen Diskurs über Stadtentwicklung und Stadtleben integriert werden, man ihnen Handlungsspielräume, Freiraum und Zeit zugesteht.“ Ansatzpunkte sieht er bei der Bundesgartenschau und der Entwicklung des Stadtgebietes Neckarbogen.

Ihm fehlt noch das gleichberechtigte Mitdiskutieren über wesentliche Ziele der Stadtentwicklung, beispielsweise bei der Entwicklung der Mobilität. Für den Neckarbogen lässt der städtebauliche Wettbewerb hoffen: 750 Wohnungen für 1500 Menschen auf zehn Hektar, dazu Arbeitsplätze in Dienstleistung und Forschung. Modellhaft soll auch das energetische Konzept sein: Die Südwestsalz AG prüft, ob der Stadtteil aus der Abwärme der Salzstollen beheizt werden kann. Ahrens sagt: „Die Stadtgebietsentwicklung des Neckarbogen wird die Nagelprobe sein, bei der sich entscheidet, ob die Stadt in der städtebaulichen Oberliga mitspielen will und kann. Bisher sehen wir keine Oberliga.“