Kleine Tiere, große Wirkung. Nicht erst der Juchtenkäfer bringt Bauprojekte ins Wanken. Das Naturkundemuseum widmet ihm neuerdings eine Vitrine.

Stuttgart - Jetzt hat er es bis in die Vitrine geschafft. Gleich am Haupteingang des Naturkundemuseums im Schloss Rosenstein steht seit kein ausgestopfter Wolf, kein Auerhahn oder wenigstens ein possierliches Eichhörnchen.Im Foyer richten sich die Lichtkegel der Halogenlämpchen auf zwei schwarze Käfer, ein Weibchen und ein Männchen. Oberflächlich besehen, wirken die beiden Käfer völlig unscheinbar - weder würden sie im Dunkeln leuchten, wenn sie noch am Leben wären, noch besitzen sie auffällige Punkte auf ihrem Panzer. Doch weil sich in den vergangenen Wochen in Stuttgart vieles verrückt hat, was vorher als nahezu unverrückbar galt, ist der Käfer zum Stammtischgespräch geworden, wird mit dem Käfer Politik gemacht - und ihm deshalb vom Naturkundemuseum völlig zu Recht eine eigene Vitrine in Premiumlage gewidmet.

Er mag es feucht und warm


Es handelt sich um den Juchtenkäfer, jenes von der Europäischen Union streng geschützte Tier, das im Rosensteinpark und im Schlossgarten lebt. Der Käfer schätzt die Höhlen alter Eichen, Platanen und Linden. Er mag es feucht, er mag es warm, wo er lebt, schaut die EU genau hin: Der Juchtenkäfer ist durch die Fauna-und-Flora-Richtlinie streng geschützt. Im Anhang IV der Richtlinie ist sein Schutz auch außerhalb der ohnehin geltenden Schutzgebiete geregelt. Also auch im Schlossgarten. Kann ein Käfer einen Bahnhof stoppen? Das Problem für die Bahn nahm in den frühen Morgenstunden des 1. Oktober seinen Lauf, als die ersten Bäume im Schlossgarten gefällt wurden. Wegen des bedrohten Käfers hat das Verwaltungsgericht Stuttgart Zweifel an der Zulässigkeit der Arbeiten angemeldet, bei der Staatsanwaltschaft liegen mehrere Strafanzeigen vor.

Tatsächlich handelt es sich beim Juchtenkäfer nicht um ein Phantom im Schlossgarten - obwohl die Tiere ihre Bruthöhlen in den alten Bäumen nur selten verlassen, wie Käferexperten im Naturkundemuseum berichten. Nach der Fällung einer alten Platane waren in dem Baum tatsächlich Larven des Juchtenkäfers entdeckt worden, bevor der Baum anschließend geschreddert wurde. "Die Larven sind in fachgerechter Obhut", sagt dazu eine Sprecherin der Bahn. "Die Käfer werden wieder im Schlossgarten ausgesetzt, wenn sie groß geworden sind." Die Gegner des Projekts setzen das Thema Artenvielfalt unterdessen auch unabhängig vom Juchtenkäfer auf die Agenda. Der Naturschutzbund (Nabu) Stuttgart fordert die völlige Einstellung der Bauarbeiten und sieht "dringenden Bedarf für ein ergänzendes Genehmigungsverfahren". Diesmal rückt die Hohltaube in den Blickpunkt. Ornithologen haben laut Nabu im Schlossgarten eines der größten Vorkommen der Hohltaube weltweit nachgewiesen. Die Haltung der Bahn zur Hohltaube bleibt vorerst offen - sie wollte sich dazu auf Anfrage der StZ nicht äußern.