„Verstummte Stimmen“: Wie die Bayreuther Festspiele für antisemitische Propaganda eingesetzt wurden. Die Ausstellung informiert über aktuelle Erkenntnisse dieses Themas. Auch in Stuttgart war die Ausstellung zu sehen gewesen.

Bayreuth - Putz bröckelt an manchen Teilen des Bayreuther Festspielhauses von der Fassade. Im Park, direkt unterhalb des Gebäudes, das jetzt immer wieder von Neugierigen umlagert wird, leuchten bunte Blumenrabatten. Ein paar Besucher schlendern durch die gepflegten Anlagen. Es ist also fast wie immer im Sommer auf dem Grünen Hügel. Und doch ist diesmal etwas anders. Denn in unmittelbarer Nachbarschaft des grünspanigen Maestros mit dem titanisch strengen Blick – einer Bronzebüste Richard Wagners, die der NS-Vorzeigekünstler Arno Breker im Park auf einen hohen Sockel gestellt hat – ragen seit Kurzem rund vierzig wetterfeste graue Tafeln auf.

 

Ein wenig erinnern sie aus der Ferne an Grabplatten. Und so ganz falsch ist dieser erste Eindruck nicht. Denn auf ihnen erinnern Schwarz-Weiß-Fotos und Texte an längst verstorbene Musiker, die einst bei den Bayreuther Festspielen mitwirkten und wegen ihrer jüdischen Herkunft verfemt wurden. In der NS-Zeit fielen dann nicht – wie bisher verharmlosend kolportiert wurde – lediglich zwei Mitglieder des Festspielorchesters dem Naziwahnsinn zum Opfer, sondern zwölf Personen, wie jüngste Forschungen belegen. Sie wurden abtransportiert in Ghettos und umgebracht in Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis. Doch lange vor Hitlers Machtübernahme, so dokumentiert diese Open-Air-Schau, sind Mitglieder des Wagner-Clans als bekennende Antisemiten unterwegs gewesen und haben dem braunen Spuk geistig den Boden mitbereitet, etwa im deutschen Kaiserreich.

„Verstummte Stimmen – Die Bayreuther Festspiele und die ‚Juden‘ 1876 bis 1945“ lautet der Titel der Ausstellung, die auf Einladung der Stadt Bayreuth und der Richard-Wagner-Stiftung gezeigt wird und ungeschminkt über aktuelle Erkenntnisse zu dieser Problematik informiert. Nach Stationen in Hamburg, Berlin, Stuttgart, Darmstadt und Dresden und auf die jeweilige Stadt bezogenem inhaltlichem Schwerpunkt hat die Ausstellung nun den Grünen Hügel erreicht. Noch bis zum Herbst ist sie in der Wagner-Stadt beim Festspielhaus und – in einem ergänzenden Teil – im Neuen Rathaus zu sehen, mit Zustimmung der beiden Festspiel-Intendantinnen.

Historische Quellenarbeit mit Zeitungen

Die Präsentation des Historikers Hannes Heer, des Musikjournalisten Jürgen Kesting und des Gestalters Peter Schmidt widmet sich, ausgehend von den Anfängen der Festspiele, der sogenannten „Säuberung“ deutscher Opernhäuser von jüdischen Ensemblemitgliedern während der NS-Zeit. Ein besonderer Schwerpunkt liegt aber diesmal auf Bayreuth. Für die Ausstellungsmacher, die sich auf Zeitungen und historisches Quellenmaterial stützten (allerdings nicht alle Archive sichten konnten), ist die Schau Signal einer vorsichtigen Annäherung an ein besonders für den Wagner-Clan heikles Thema. Ausdrücklich begrüßt die frisch gekürte Oberbürgermeisterin von Bayreuth, Brigitte Merk-Erbe, diese Aufarbeitung der dunklen Kapitel in der Festspielgeschichte. Ja, die Stadt gab sogar den Anstoß dazu und ging auf die Ausstellungsmacher zu.

„Richard Wagner hat natürlich mit seinem Pamphlet ‚Das Judentum in der Musik‘ und den antisemitischen Schriften vor allem in den letzten Jahren seines Lebens einen festen ideologischen Rahmen für alle seine Nachfolger gesetzt“, sagt Hannes Heer. „Er ist wirklich radikal antisemitisch. Sein Konzept war, die Juden auszuweisen aus Deutschland. 1879!“ Der jüdische Dirigent Hermann Levi etwa war bei Wagner geduldet, obwohl der die „jüdische Race“ , wie er sagte, „für den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen“ hielt. 1882, allerdings auf Drängen des Bayernkönigs Ludwig II., konnte Levi sogar die Uraufführung des „Parsifal“ leiten. „Er hat ihn gequält. Er hat ihn gedemütigt. Dann hat er ihn wieder hergeholt, denn er war natürlich auch fasziniert von seiner Dirigentenkapazität“, sagt Heer. Immerhin, „Psychoterror“ habe der Komponist gegenüber Levi aber nicht ausgeübt.

Bei Cosima freilich ist das anders. Sie geht viel weiter als Wagner selbst und betreibt aktiv eine „Politik der Apartheid“, meint Heer. Als sie nach Wagners Tod auf dem Grünen Hügel das Regiment übernimmt, drangsaliert die Komponistenwitwe Levi und gern auch andere Juden auf übelste Weise. Systematisch streicht sie jüdische Musiker von der Besetzungsliste. Im Neuen Bayreuther Rathaus, wo in einem zweiten Teil der Präsentation das Schicksal von 44 im gesamten Reich verfolgten Stars der deutschen Opernszene auf Stelltafeln dokumentiert wird, sind auf Hörstationen auch einige der „verstummten Stimmen“ wieder zu hören, die der Ausstellung den Titel gegeben haben. Dazu gehört auch die des jüdischen Baritons Friedrich Schorr.

Einst stand General Ludendorff auf der Gästeliste

Cosimas Sohn Siegfried, der ihren antisemitischen Kurs in Bayreuth fortsetzte, hatte Schorr als Wotan allein deshalb besetzt, um wachsender Kritik, dass Bayreuth zu einer deutsch-nationalen Weihestätte mit judenfeindlicher Haltung verkommen sei, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Viele Zeitungen hatten sich nach einer deutschnationalen Feier auf dem Grünen Hügel mit antisemitischen Hetztiraden und dem General Ludendorff auf der Besucherliste darüber mokiert, dass Bayreuth für eine Parteiveranstaltung missbraucht worden sei.

Anschaulich dokumentiert die zweiteilige Ausstellung, dass Festspieldirigenten und Mitglieder der Wagner-Familie – darunter der antisemitische Theoretiker Houston Chamberlain oder auch Siegfrieds Witwe Winifred Wagner – schon früh mit nationalsozialistischem Gedankengut sympathisierten. Deutlich wird in der Schau eine beinahe ungebrochene Tradition, die von den antijüdischen Ressentiments eines Richard Wagner bis zur Judenvernichtung in Hitlers Konzentrationslagern reicht.