Über Rassismus hat Chimamanda Ngozi Adichie eine Menge zu sagen. Aber in ihrem Roman „Americanah“ geht es um eine Frau, die nicht weiß, wohin im Leben. Die StZ-Autorin Sacha Verna ist der nigerianischen Erfolgsautorin begegnet.

Stuttgart - Der Junge hatte keine Ahnung, wem er da ein viel zu teures Exemplar von „Americanah“ anzudrehen versuchte. Im Taxi, an dessen Fenster er das Buch drückte, saß nämlich die Autorin selber und amüsierte sich. „Ich fragte ihn, wie sich der Roman verkaufe, und er versicherte mir, glänzend, dies sei sein letztes Stück.“ Chimamanda Ngozi Adichie lacht noch immer über den Vorfall, der sich wenige Tage zuvor in Lagos ereignet hat. Allerdings sitzt die 36-jährige Schriftstellerin jetzt in einem Café in einem gesichtslosen Vorort von Baltimore. Vor ihr auf dem wackligen Plastiktisch dampft eine wannengroße Tasse Tee, daneben liegt auf einem Pappteller ein unberührter Wrap mit ähnlichen Dimensionen. Weder der Ort noch das Menü laden zum Verweilen ein. Aber Chimamanda Adichie wohnt in der Nähe, wenn sie sich in den USA und nicht in Nigeria aufhält, und der Typ für Homestorys ist sie nun einmal nicht: „Mein Privatleben geht niemanden etwas an.“

 

„Americanah“ ist Chimamanda Adichies dritter Roman und ihr erster, der auf weiten Strecken in den Vereinigten Staaten spielt. Daher der Titel: „Americanah“ nennen Nigerianer Landsleute, die aus dem vermeintlichen Paradies mit einem Kaugummiakzent und der Gewohnheit zurückgekehrt sind, in Restaurants die Soße separat zum Salat zu verlangen. Ifemelu, die Protagonistin der Geschichte, geht nach Amerika, um zu studieren, und bleibt dreizehn Jahre dort. Sie startet einen erfolgreichen Lifestyle-Blog und weniger erfolgreiche Zweisamkeiten, während Obinze, die Jugendliebe, die Ifemelu zurückgelassen hat, in Nigeria Karriere macht.

Hymnische Besprechungen

„Americanah“ ist die manchmal verstörende, manchmal komische, immer nachvollziehbare Geschichte einer Frau, die diverse Identitäten ausprobiert, unsicher, was sie eigentlich will. Das englischsprachige Publikum war von „Americanah“ begeistert. Die „New York Times“ erkor das Buch zu einem der zehn besten des Jahres 2013. Den hymnischen Besprechungen zufolge handelt der Roman jedoch nur von Rassismus. „Dieses Echo hat mich nicht überrascht“, sagt die Autorin. Der Roman geht das Thema ganz direkt an, und das sind die Leute nicht gewohnt.“ Ifemelu schreibt in ihrem Blog über Schwarze und Taxis, über die Nettigkeitskrämpfe von Weißen und Michelle Obamas Haare. Von Haaren ist in „Americanah“ viel die Rede. Besonders vom wuscheligen Haar schwarzer Frauen.

„Überall auf der Welt vergewaltigen schwarze Frauen ihr Haar, weil Afros als ungepflegt und unprofessionell gelten“, so Chimamanda Adichie. Sie trägt ihr Haar in unzähligen feinen Zöpfchen und zu einem eleganten Knoten gewunden wie eine Krone auf dem Kopf. „Eine weiße Bekannte von mir wollte mir nicht glauben, als ich ihr erklärte, Michelle Obamas Haare wüchsen ihr nicht so glänzend und gerade vom Kopf.“ Dazu braucht es krebserregende Entkrausungsmittel und glühende Eisen. Dafür wird in Frauenzeitschriften freilich nicht geworben. Die Anzeigen dort sind für glattes Haar. „Und das nur, weil glattes Haar von allen aus unerfindlichen Gründen als Norm akzeptiert wird.“ Selten ist über Frauenhaare als Protestsymbol so eloquent und opulent geschrieben worden.

Je heller, desto besser – das gilt in Nigeria wie in den USA

Auch unter Chimamanda Adichies Freundinnen in Nigeria war und ist Haar ein Dauerthema – und Hautfarbe, je heller desto besser. „Dabei verspürt keine von ihnen den geringsten Wunsch, weiß zu sein“, sagt Chimamanda Adichie. „Manche würden nicht einmal mit einem weißen Mann schlafen.“ Chimamanda Adichie ist dunkel und stolz darauf. Aber was es bedeutet, schwarz zu sein, hat sie erst in den USA gelernt. Sie zog als 19-Jährige hierher, um Medien- und Politikwissenschaften zu studieren. „Faul, verlogen, zu jedem Verbrechen bereit – das sind die Vorurteile, mit denen Schwarze hier täglich konfrontiert werden. Sie müssen ständig das Gegenteil beweisen und erwarten gar nichts anderes. Viele von ihnen wären tatsächlich lieber weiß, weil es ihnen das Leben unendlich erleichtern würde.“ Für jemanden, der wie sie aus einem Land stammt, in dem Schwarze die Mehrheit, nicht die Minderheit bilden, war das eine völlig neue Erfahrung.

Chimamanda Adichie hat eine Menge über Rasse und Rassismus zu sagen und sagt es auch, in Artikeln und im Radio. Doch im Interview klingt sie wie eine Lehrerin, die zum hundertsten Mal erklärt, dass eins und eins zwei sind: geduldig, aber mäßig leidenschaftlich. Das ändert sich, als sich das Gespräch der Lage von Frauen zuwendet: in Nigeria, in Amerika, generell. Irgendwo löst sich ein Knopf, und es ist, als würde Chimamanda Adiche lustvoll von der Pflicht zur Kür übergehen. Sie wuchs in der nigerianischen Universitätsstadt Nsukka umgeben von starken Frauen auf. Ihre Mutter war die erste Frau in einer führenden administrativen Position an der Universität, an der ihr Vater als Professor für Mathematik unterrichtete. Ihre Schwester verdiente das Einkommen für Mann und Kinder. Einen inzwischen legendären Auftritt auf einer Konferenz absolvierte Chimamanda Adichie mit dem Motto: „Warum wir alle Feministen sein sollten“. Einen ganzen Abschnitt aus diesem Vortrag verwendet der Popstar Beyoncé im Song „Flawless“.

Unbedingt den Richtigen finden

Der Inhalt: wir würden unsere Mädchen dazu erziehen, die Ehe als Ziel aller Ziele anzustreben. „Auch in den USA und Europa wird den Mädchen eingetrichtert, es gälte unbedingt den einen, den Richtigen zu finden, und nur mit dem sei das Leben lebenswert“, sagt sie. Im Wettbewerb um diesen Halbgott würden Frauen sich gegenseitig sabotieren, anstatt ihre Energien auf den Ausbau ihrer Stärken und Interessen zu konzentrieren. „Jungen werden nicht mit der Vorstellung geimpft, sie seien ohne Frau unvollständig, und empfinden es als Geburtsrecht, Frauen zu nehmen und zu verlassen, wie es ihnen gefällt.“ In „Americanah“ ist es Ifemelu, die Männer nimmt und verlässt. Chimamanda Adichie überlegt und sagt: „Ifemelu ist eine freiere Version meiner selbst.“