Die Versorgung Drogenabhängiger mit Ersatzsubstanzen wie Methadon hat das Leben der Betroffenen leichter gemacht und die öffentliche Sicherheit befördert. Es gibt aber immer weniger Ärzte, die diese Behandlung noch machen.

Stutgart - Was war das für eine Aufregung, zuletzt vor knapp 20 Jahren, als in Karlsruhe erstmals Diamorphin kontrolliert an Drogensüchtige abgegeben wurde. Zuvor schon hatte die politische Seele umgetrieben, ob man Junkies mit dem Ersatzstoff Methadon versorgen dürfe. Alles lange her – inzwischen ist es in dieser gesundheitspolitischen Frage ruhig geworden. Das Thema interessiert die Politiker nicht mehr. Aber eben auch immer weniger Mediziner, was sich allmählich zu einem handfesten Problem auswächst.

 

Substitution ist inzwischen eine Standardtherapie für opiatabhängige Suchtkranke. Acht Prozent der Patienten schaffen aus der Substitution heraus die Drogenabstinenz. „Das ist eine höhere Rate als bei stationärem Entzug“, sagt Christoph von Ascheraden. Der niedergelassene Arzt mit Praxis in St. Blasien im Schwarzwald ist Vorsitzender des Ausschusses Suchtmedizin bei der Landesärztekammer.

Die kontrollierte Versorgung mit einer Ersatzdroge soll den Abhängigen stabilisieren und ihn zurück in die Gesellschaft holen. Das klingt einfacher als es ist, weiß von Ascheraden. „Es bedarf eines großen pädagogischen Aufwandes, mit einem Patienten die Substitution einzustudieren“, sagt er. Bisher war das Leben des Abhängigen „an der Verfügbarkeit des Dealers ausgerichtet“. Jetzt heißt es, „jeden Morgen anzutreten“, so von Ascheraden. „Aber das ist Teil der Therapie.“

Viele schaffen den Sprung in die Abstinenz nicht

Die meisten Abhängigen schaffen den Sprung in die Abstinenz nicht, müssen also langfristig versorgt werden. Für die Substitutionsmediziner stellt sich inzwischen die Frage, wie man die älter gewordenen Patienten in Pflege- oder Altersheimen erreichen kann. „Das müssen wir jetzt auch lösen“, so von Ascheraden.

Prinzipiell funktioniert die Substitution so, dass der Patient in der Praxis erscheint und unter Aufsicht Methadon einnimmt. Das geschieht das täglich, zumindest bis der Patient eingestellt ist und sich zwischen dem Arzt und ihm ein gewisses Vertrauensverhältnis gebildet hat. Der Arzt beobachtet zum Beispiel, ob der Patient „beigebrauchsfrei“ ist. „Wenn er sehr viel Alkohol trinkt, funktioniert es nicht“, sagt von Ascheraden. Die Substitutionstherapie ist ohne Wert, wenn der Patient noch andere psychoaktive Substanzen konsumiert.

Der tägliche Besuch in der Praxis erschwert die Integration ins Arbeitsleben. Deshalb dürfen die Suchtmediziner dem Abhängigen eine Dosis für bis zu sieben Tage verschreiben – wenn sie nicht annehmen müssen, dass die Ration auf dem Schwarzmarkt zu Geld gemacht wird. Für begründete Fälle wolle man eine längere Frist erreichen, etwa wenn ein Abhängiger auf Montage unterwegs ist und seine Apotheke nicht regelmäßig besuchen kann.

Nur einige Schwerpunktpraxen

Auch für den Arzt führt es zu Erleichterungen, wenn der Drogenpatient nicht jeden Tag erscheint. Es gibt nur wenige Schwerpunktpraxen im Land, die sich auf die Drogensubstitution spezialisiert haben. Sie sind in Stuttgart, Mannheim oder Karlsruhe, aber auch in Ravensburg oder Lörrach. Sie versorgen teilweise hunderte Patienten. Oft aber machen niedergelassene Hausärzte mit wenigen Patienten eine Substitution – und haben den Junkie neben der Rentnerin im Wartezimmer.

Diese Aussicht ist vor allem für junge Mediziner wenig verlockend. Im Land praktizieren rund 250 Ärzte die Ersatztherapie. Von denen sind 34 bereits über 65 Jahre alt, wie aus einer Übersicht des Sozialministeriums hervorgeht. 149 sind zwischen 55 und 65 Jahren alt, lediglich 69 sind jünger als 55. Aufgrund dieser Verteilung „ist in den nächsten Jahren mit dem altersbedingten Ausscheiden einer nicht unbedeutenden Zahl von Ärztinnen und Ärzten zu rechnen“, schreibt die Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD).

Beim Nachwuchs sei freilich hinsichtlich der Bereitschaft zur Suchttherapierung „eine sinkende Tendenz zu verzeichnen“. Die Fortführung der Methadonversorgung könne in Einzelfällen jetzt schon „nur sehr schwierig gewährleistet werden“, wenn der behandelnde Arzt in den Ruhestand geht, so die Ministerin.

Mit einem Beim im Gefängnis?

Das könnte an der Vergütung liegen. Wenn sich der Arzt mindestens zehn Minuten mit einem Drogenpatienten beschäftigt, bekommt er 16 Euro. Holt der Patient nur Methadon ab, sind es vier. Reich werde man so nicht, heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Die Drogensubstitution gehört zum Versorgungsauftrag der Kassenärzte.

Das größere Problem sieht die KVBW in der Rechtslage. „Man steckt in einem schwierigen Rechtsgebiet“, sagt ein Sprecher der Kassenärzte. Die Substanzen, mit denen Drogenärzte umgehen, fallen unter das Betäubungsmittelgesetz. Wer einem Patienten Methadon mitgibt, gehe ein Risiko ein. „Wenn dem Patienten etwas passiert, kommt man schnell in die Bredouille.“ Etwa, weil er den Stoff doch verkauft oder andere Substanzen konsumiert. Das schreckt junge Mediziner ab. Ein Ziel der medizinischen Lobbyarbeit sei es, „die rechtlichen Bestimmungen für Substitutionsärzte zu vereinfachen“. Derzeit steht das Thema aber auf keiner Agenda.