Sangeslustige Kinder von vier Jahren an können beim Kinder- und Jugendchor Belcanto in Stuttgart-Degerloch erste Erfahrungen mit dem gemeinsamen Singen machen. Und auf dem Programm steht nicht nur geistliche Musik von Bach...

Degerloch - Singen ist ‘ne coole Sache“, finden die Kinder, die an diesem frühen Abend zur Chorprobe von Belcanto Stuttgart gekommen sind. Mit sicht- und hörbarer Freude untermauern sie diese musikalische These mit ihrem Gesang und hoch motiviert illustrieren sie auch die Fortsetzung des kleinen Liedes: „...damit es funktioniert, wird der Körper erst trainiert.“ An jedem Mittwoch treffen sich die jungen Sänger in einer Villa oberhalb der Degerlocher Karl-Schubert-Schule mit Gudrun Kohlruss, der künstlerischen Leiterin von Belcanto Stuttgart. Unter ihrer Anleitung studieren sie neue Stücke ein, deren Bandbreite von Johann Sebastian Bach bis zu Pop und A-capella-Gesang von den Wise Guys („Sing mal wieder!“) reicht.

 

Jubiläumskonzert im Juli 2017

Dies muss kein Gegensatz sein, meint Gudrun Kohlruss, die vor sechs Jahren die Leitung eines der semiprofessionellen Kinder- und Jugendchöre in Stuttgart übernommen hat. Die Sopranistin, unter anderem Mitglied des Stuttgarter Operettenensembles und in der Region für ihre Operetten- und Liederabende bekannt, empfindet Zufriedenheit, wenn sie gemeinsam mit ihren Kollegen Kindern die Welt der Musik näherbringen kann. Sie möchte ihnen zeigen, dass Singen Glück für sie selbst und für andere bedeutet.

Nachdem der mit rund 25 Mitgliedern vergleichsweise kleine Chor im vergangenen Juli sein 25-jähriges Bestehen mit einem großen Jubiläumskonzert gefeiert hat und die Proben zum traditionellen Weihnachtsauftritt (immer am dritten Advent) hinter den Sängern liegen, haben die Vorbereitungen für das nächste Programm begonnen. Vom 21. Februar an gibt es eine neue Primo-Gruppe, in der Kinder ab vier Jahren eine Dreiviertelstunde lang die eigene Stimme entdecken können.

Der Einstieg ist möglich

„Ab sieben Jahren, im Aufbauchor, ist der Einstieg jederzeit möglich“, sagt Gabi Döring, als Geschäftsführerin für die Organisation zuständig. Im Jugendchor, in dem Sänger von etwa zehn Jahren an und junge Erwachsene mitsingen, wird auf die Eignung geachtet: Bei der Erarbeitung von mehrstimmiger Literatur mit Klassik, Gospel, Musical und Pop kommt es durchaus auf die richtigen Töne an.

Entstanden ist Belcanto Stuttgart im Jahr 1992 durch eine private Initiative. Der Chor ist eine von mehreren Abspaltungen der renommierten Hymnus-Chorknaben; Träger ist ein gemeinnütziger Verein. Für das Jubiläumsjahr 2017 hat Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn die Schirmherrschaft übernommen. Der Name ist Programm: Belcanto verweist auf die Ausgeglichenheit von Stimmen und die Schönheit des Klanges. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die jungen Sänger regelmäßig üben. Als Belohnung winken Auftritte bei öffentlichen wie auch privaten Konzerten, beispielsweise bei Benefiz-Veranstaltungen von Stuttgarter Service-Clubs.

Seit 2003 sind auch Mädchen dabei

Nachdem Belcanto zunächst wie sein Vorbild ein reiner Knabenchor war, sind seit 2003 in der Villa auch Mädchenstimmen zu hören. Für die Teilnahme an den Proben zahlen die Eltern einen Monatsbeitrag von 19 Euro (Primo) bis zu 29 Euro (Aufbau- und Jugendchor). Die Älteren haben dabei den Vorteil, ihre Stimme durch individuelle Stimmbildung schulen zu lassen. Aber es geht während der Proben auch um Atmung und Rhythmik, Harmonielehre und Musiktheorie, je nach Alter etwas spielerischer oder intensiver.

Im Gegensatz zu den Hymnus-Chorknaben, dem Collegium iuvenum (CIS) oder der Mädchenkantorei an der Domkirche St. Eberhard ist bei den Auftritten von Belcanto Stuttgart nicht ausschließlich geistliche Musik zu hören. „Es ist wichtig, die unterschiedlichen Möglichkeiten, sich musikalisch auszudrücken, kennenzulernen“, betont Gudrun Kohlruss. Daher besteht das Repertoire auch aus Musical-Melodien wie „Superkalifragilistikexpialigetisch“ („Mary Poppins“) oder Songs von Abba. Im vergangenen Jahr unterstützte der Chor den Stuttgarter Rapper Cro bei einer Tonaufnahme.

Wegen G8 wird die Zeit der Kinder knapp

Seit einigen Jahren aber, so bedauern Gudrun Kohlruss und Gabi Döring, wird es immer schwieriger für die jungen Sänger. „Ich bin ein absoluter Gegner der verkürzten Gymnasialzeit“, sagt Gudrun Kohlruss mit Nachdruck, „das hat uns viele Abmeldungen gebracht, weil die Kinder einfach keine Zeit mehr haben. Dabei ist das Singen so wichtig, denn sie nehmen so viel für ihr späteres Leben mit.“ Diese Einsicht sei leider keine Selbstverständlichkeit mehr, es gebe nur wenig Familien, in denen gemeinsam gesungen werde. „Ist das vielleicht nicht cool genug?“, fragen sich die beiden Frauen.

Beobachtet man jedoch die vielen A-capella-Gruppen wie beispielsweise die Wise Guys oder Pentatonix, die über Youtube oder Spotify große Popularität errungen haben und deren Musik gelegentlich von Jugendlichen nachgesungen wird, besteht durchaus noch Hoffnung. Chöre wie Belcanto eröffnen diesen Interessenten den Zugang zum mehrstimmigen Singen.

Die Primo-Gruppe des Kinder- und Jugendchores Belcanto Stuttgart beginnt am Mittwoch, 21. Februar, um 16 Uhr eine neue Probenphase. Mädchen und Jungen von vier Jahren an können die eigene Stimme entdecken und Kinderlieder lernen. Beim Aufbauchor (ab sieben Jahren) und Jugendchor (ab zehn Jahren) ist der Einstieg nach Absprache jederzeit möglich. Geprobt wird in der Villa oberhalb der Karl-Schubert-Schule, Obere Weinsteige 40/42, in Degerloch (Zugang über die öffentliche Treppenanlage entlang der Zahnradbahn zur Nägelestraße und den Schulhof).