Ob als Tee, in einem Longdrink oder auf dem Butterbrot: Ingwer ist derzeit der Star an der Obst- und Gemüsetheke.Die Knolle gilt als medizinische Allzweckwaffe und verkauft sich besser denn je. Auf den Spuren einer Wunderwurzel.

Stuttgart - In den 90ern eroberte Basilikum deutsche Küchen im Sturm. In den Nullerjahren war Bärlauch der Hit und hat Maultaschen, Soßen und Brot aufgepeppt. Inzwischen ist Ingwer der Star der Obst- und Gemüsetheke. Auf die scharfe Wurzel setzen nicht mehr nur esoterische Ayurveda-Anhänger mit selbst gestrickten Wollsocken. Auch Szenegänger, Ärzte und Hobbyköche verwenden die Pflanze zu ganz unterschiedlichen Zwecken. Gab es Ingwer früher nur in Asiamärkten oder Spezialitätengeschäften in der Markthalle, liegen heute bei jedem beliebigen Supermarkt Berge der Wurzel zwischen Kopfsalat und Sellerie.

 

Wer sich vor allem für die medizinischen Aspekte der Knolle interessiert und ausschließlich gesund ins Jahr 2013 starten will, sollte die nächsten Absätze überspringen. Zunächst geht es nämlich um die Kombination aus Ingwer und Alkohol. Die ist in manchen Ländern schon sehr alt: Bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstand in England das alkoholhaltige Ginger Beer (Ingwerbier) und vor mehr als siebzig Jahren hat Ingwer den zuvor verschmähten Wodka in Amerika groß rausgebracht. Zwei Spirituosenbosse saßen 1941 in Kalifornien zusammen und klagten über den Absatz ihrer Produkte. Weder der aus Russland importierte Wodka des einen Produzenten noch das Ginger Beer des anderen verkauften sich gut. Nach ein paar Stunden war die Sache getrunken: Moscow Mule (mjul gesprochen) sollte der neue Drink heißen, der schon ein Jahr später zu den beliebtesten Getränken in den Bars und Clubs von Los Angeles gehörte. Später war Woody Allen ein prominentes Werbegesicht für den Moskauer Dickschädel – so lautet die Übersetzung.

Im vergangenen Jahr hat der Moscow Mule ein erstaunliches Comeback gefeiert. Bei dem Longdrink kommt es besonders auf die richtige Ingwerlimonade an. Das Ginger Ale von Schweppes ist eher ungeeignet. Es sollte schon echtes Ginger Beer sein, wie auch Heiko Schöbinger sagt, der in der Stuttgarter Bar Transit hinter der Theke steht. Zum Beispiel Old Jamaican und Grace (gibt es in Asia-Geschäften) sowie das Ginger Beer der Berliner Firma Thomas Henry. Wegen des deutschen Reinheitsgebots darf das Getränk bei uns nicht mehr Bier heißen – der neue Name lautet Spicy Ginger – , aber an der Rezeptur hat sich nichts geändert. Es ist schärfer als Ginger Ale, enthält im Vergleich zum ursprünglichen Ingwerbier aus England keinen Alkohol. Eine Variante des Moscow Mule ist der London Mule. „Der wird mit Gin statt mit Wodka gemacht“, sagt Heiko Schöbinger. „In den Moscow Mule kommt eine Scheibe Gurke, in den London Mule ein Stück Limette.“

„Das hilft gegen den Kater“

Dass Ingwer aber auch ohne Alkohol gut schmeckt und vor allem gut tut, weiß der Barkeeper aus eigener Erfahrung: „Ich habe immer ein Stück im Kühlschrank.“ Gerade wenn es mal wieder spät im Transit am Hans-im-Glück-Brunnen geworden ist, macht sich Heiko Schöbinger am nächsten Morgen einen Ingwertee. „Das hilft gegen den Kater.“

Dass die würzige Knolle aber auch ohne die Verbindung mit Alkohol szenetauglich ist, beweist die Karte im Café Scholz. Nicht nur in dem Café am Marktplatz hat sich der Ingwertee zum Latte Macchiato des Winters gemausert. In der kalten Jahreszeit gibt es Ingwer-Holunder-Tee, im Sommer die entsprechende kühlende Variante. „Beides wird sehr gern bestellt“, sagt Ana Rodrigues vom Scholz.

Hundert Meter weiter in der Markthalle schwärmt Dagmar Ragoßnig von der scharfen Knolle. „Ich hatte eine Magenschleimhautentzündung und habe sie ohne Tabletten wegbekommen“, sagt die Obst- und Gemüsefachfrau, die einen eigenen Stand betreibt. „Ich habe jeden Tag ein Stück Ingwer zehn Minuten ausgekocht und den Tee über den Tag getrunken.“

Im Grunde ist die verästelte Knolle eine medizinische Allzweckwaffe. Ärzte empfehlen erkälteten Patienten, mit Ingwer die Abwehrkräfte zu stärken. Seglern und Reisenden wird Ingwer nahe gelegt, um nicht see- oder reisekrank zu werden, bei Schwangeren soll die Wunderknolle gegen die Morgenübelkeit helfen. Sie wärmt von innen, entgiftet, fördert die Durchblutung und die Verdauung, steigert die Gallensaftproduktion und soll sogar bei Rheuma und Muskelschmerzen helfen.

„Es gibt nichts Besseres für den Magen, nachdem man zum Beispiel Gans gegessen hat und sich träge fühlt“, sagt Dagmar Ragoßnig. Weil es ihr so gut schmeckt, reibt sie sich Ingwer auch oft ganz fein auf ein Butterbrot. Dafür nimmt sie frischen Ingwer aus Thailand. „Der ist schärfer und aromatischer, man sieht ihm die Frische an.“ Für den Tee und fürs Kochen kann man die getrocknete Variante nehmen – aber besser nicht die aus China. „Da ist der Boden zu sehr mit Chemie belastet“, sagt Ragoßnig, deren getrockneter Ingwer aus Brasilien und Uganda stammt. Inzwischen verkauft sie deutlich mehr Ingwer als früher. „Vor Jahren haben die Leute das nur gekauft, wenn sie mal asiatisch gekocht haben. Inzwischen nimmt fast jeder zweite Kunde ein Stück mit. Egal ob alt oder jung.“