Sein Spiel galt lange als schön, aber riskant. Jetzt spielt VfB-Verteidiger Benjamin Pavard vor allem sicher. Und hat großen Anteil daran, dass es um das einstige Sorgenkind Abwehr gar nicht so schlecht bestellt ist
Stuttgart - Langjährige Beobachter des VfB Stuttgart kennen ihn nur zu gut: Den Typ Abwehrspieler, der mit einer einzigen Aktion die Arena in Schreckstarre zu versetzen vermag. Mit einem leichtfertig vertändelten Ball. Oder einem im Gefühl der spielerischen Überlegenheit ausgeführten Hochrisiko-Zuspiel der Marke Querpass am eigenen Sechzehner. Zum Haareraufen! Slobodan Dubajic und Thomas Berthold waren solche Experten, auch Fernando Meira bot diesbezüglich hohen Unterhaltungswert.
Seit vergangener Saison hat der VfB wieder einen Abwehrspieler, der bei Fans mit niederem Blutdruck für Belebung sorgte: Benjamin Pavard spielte seinen Part in der zweiten Liga häufig mit so aufreizender Lässigkeit, als bewerbe er sich für eine Neubesetzung in der Filmrolle des Mr. Cool. Weshalb nicht wenige Fans und Experten mit Blick auf die Defensive der Stuttgart und die Herausforderungen im Fußball-Oberhaus ein wenig bange war. Ist diese Abwehr bundesligatauglich?
„Ich bin zu einem Mann gereift“
Nun, nach fünf Spieltagen – und halbwegs erträglichen sieben Gegentoren – lässt sich feststellen: Es sieht zumindest ganz danach aus. Woran auch der 21-Jährige großen Anteil hat. In den ersten Spielen verdiente sich der junge Franzose jedes Mal Bestnoten. Weil er meist richtig steht, aber auch in den Zweikämpfen beherzt zupackt, wenn der Gegner mal schneller an den Ball kommt als er. Dazu präsentiert er sich kopfballstark. Den schnellen Ball in die Spitze beherrscht die Nummer 21 sowieso. Seine Passquote in den ersten fünf Spielen: Beachtliche 92 Prozent. Kurzum: Der 1,86 Meter- Schlaks ist zu einem kompletten Abwehrspieler gereift.
„Ich habe viel an mir gearbeitet“, erzählt der Lockenkopf, „ich denke, ich habe auch Fortschritte gemacht.“ Pavard zielt vor allem auf die Körperlichkeit, um der höheren Intensität in der Bundesliga stand halten zu können. Auch persönlich habe er sich in dem einem Jahr in Stuttgart weiter entwickelt. „Ich bin zu einem Mann gereift,“ sagt er – und wirkt dabei so cool wie auf dem Platz.
Den vielleicht größten Entwicklungsschritt erwähnt er von sich aus nicht: Die Schnörkel sind raus aus seinem Spiel, und damit auch der Schlendrian. Bruder Leichtfuß hat ausgespielt. „Vielleicht hängt das mit meinem Positionswechsel zusammen“, antwortet er zögerlich.„In der zentralen Innenverteidigung trage ich schließlich noch mehr Verantwortung als auf außen. Hinter mir kommt ja nur noch der Torwart.“
Da lässt man Spielereien besser sein. Das habe ihm auch der Trainer Hannes Wolf im Sommer eingetrichtert, sagt Pavard, der eines nicht auf sich sitzen lassen will: „Mit Arroganz hatte mein Spiel nichts zu tun.“ Der französische U-21-Nationalspieler ist nun mal einer, der kicken kann. Und zeigt das dann eben gerne – auch in der Abwehr.
Vorbilder Hummels und Ramos
Er selbst, der sowohl den eleganten Mats Hummels als auch das Raubein Sergio Ramos zu seinen Vorbildern zählt, bezeichnet sich als „technischen Spieler“, zu seinen Stärken zählt er das Antizipieren gegnerischer Angriffe. Das schätzt auch Hannes Wolf an dem Mann, den Jan Schindelmeiser im vergangenen Sommer für die beachtliche Summe von fünf Millionen Euro vom OSC Lille an den Neckar gelotst hat. Inzwischen ist er das Geld allemal wert, was auch anderen Clubs nicht entgangen ist. In der Sommerpause fühlte bereits RB Leipzig vor.
Doch ein Wechsel war kein Thema. Pavard (Vertrag bis 2020) fühlt sich wohl in Stuttgart, wo er in der Innenstadt beim Milaneo eine Wohnung bezogen und in Takuma Asano einen guten Kumpel gefunden hat. Seine Familie reist zu jedem Heimspiel an. Mit dem Aufsteiger möchte er in dieser Saison zunächst die Klasse halten, um dann irgendwann einmal auch „Champion“ zu werden. Mit welchem Club auch immer. Doch das ist, wie schon gesagt, ein Fernziel.
Näher liegt da schon der Wunsch, bald im blauen Trikot der Equipe Tricolore aufzulaufen – womöglich ja schon im kommenden Jahr bei der WM in Russland. Die Chance ist theoretisch da. In der U21-Auswahl zählt der Nordfranzose bereits zu den Größen im Team, auch weil ihn der Trainer sowohl in der Verteidigung als auch im defensiven Mittelfeld flexibel einsetzen kann. Diese Variabilität führt Pavad auf seine langjährige Ausbildung in Lille zurück. Sein Trainer legte schon in der Jugend sehr viel Wert auf Taktik – „der Ball war gar nicht so wichtig“.
Beim VfB, so scheint es, hat er in der Innenverteidigung seine feste Rolle gefunden. Wenn Holger Badstuber womöglich schon am Samstag (15.30 Uhr) gegen den FC Augsburg zurück kehrt, gilt am ehesten der Pole Marcin Kaminski als Streichkandidat. Denn auch Timo Baumgartl spielt bislang eine ordentliche Saison. Benni, wie er im Club genannt wird, dürfte am Samstag also wieder als zentraler Abräumer und Aufbauspieler gesetzt sein. Und alles dafür tun, dass die Fans in Weiß und Rot möglichst unaufgeregte 90 Minuten erleben.