Den Wannsee kennen die meisten Besucher, den Müggelsee nur wenige. Eine Schifffahrt zum größten aller Berliner Gewässer, ganz im Südosten, wo die Stadt endet und Neu-Venedig beginnt.

Der Kapitän hatte den Mund voll genommen. Kurz hinter dem Hafen Treptow, als die Hauptstadt sich noch einmal von ihrer alten Industrieseite her zeigte, wagte er zu behaupten, dass nun bald die schönste Wasserstraße Berlins folge. Müggelspree heiße sie, sei zwölf Kilometer lang und besser als alles, "wat Sie kennen". Die, die an Bord sind, kennen viel: Wannsee, Havel, Landwehrkanal, die Fahrt durch das Regierungsviertel. Eine Schiffsladung erfahrener Berliner oder Berlin-Besucher, der man nichts erzählen kann.

Sie stehen nun an Deck und sagen "Oh" und "Ah" und "Ist das nicht schön?". "Da guck mal, die Blumen und der Garten, na die müssen ja Geld haben." Die vermeintlich Vermögenden sind die Einwohner von Neu-Venedig, einer von Kanälen durchzogenen Lauben- und Villenkolonie aus den zwanziger Jahren. Das Schiff sticht mitten hinein, streift fast Trauerweiden und Mini-Yachten, defiliert einer Parade gleich an den herausgeputzten Gärten und Grundstücken der Klein-Venezianer vorbei.

 

Fünf Kilometer lang ist das Schmuckstück dieser Ausflugsfahrt. Fünf Kilometer zwischen Müggelsee und Dämeritzsee, zwischen Villen mit weißen Säulen, Datschen aus der DDR-Zeit, roten Häusern im skandinavischen Stil. Links und rechts winken Pärchen und Kleinstgruppen aus Minibooten heraus: Die Piefkes, die nur mal eben vor der Gartentür ins eigene Kanu gestiegen sind, die Müller-Meier-Schultzes, die sich ein besseres Gefährt mit Motor leisten können, die Schnedermanns aus Brandenburg, die sich für 125 Euro am Tag ein Mietfahrzeug mit Außenborder gegönnt haben.

Man lässt es sich schmecken, im Fährhaus am Ufer in Rahnsdorf, das im Kern ein altes Fischerdörfchen geblieben ist, sowie an Bord des Ausflugsschiffes, wo wieselflinke Kellnerinnen ein vollgepacktes Getränkegedeck nach dem anderen auftragen: Eisgekühltes Weizenbier, perlendes Pils, knallrote und giftgrüne Berliner Weiße mit Schuss, Bockwürste und Buletten.

Vergnügungsdampferfahrten gehören zu Berlin wie das Brandenburger Tor und der Ku’damm. 200 Kilometer Wasserstraßen, allesamt auf dem Gebiet der Hauptstadt. Der größte Teil der Besucher stürzt sich dabei aufs Regierungsviertel, wo die Ausflugsschiffe beinahe schon im Stau stehen. Hier draußen, im Südosten der Stadt, kommt es nur selten zu Verkehrsbehinderungen: Treptow-Köpenick ist der am dünnsten besiedelte, flächengrößte, wasser- und waldreichste Teil der Großstadt, die Fahrt um den Müggelsee ein klassisches Ausflugsziel des alten Ost-Berlins.

Dichtbewachsen sind die Ufer des Großen Müggelsees. Der Name klingt wie die vielen Stechmücken, die hier allabendlich ausrücken, hat wohl tatsächlich aber eher mit slawisch "Erdhügel" oder germanisch "Nebelwolke" zu tun. Wie auch immer: Der Müggelsee ist das mit das Abstand größte Binnengewässer in Berlin und die gleichnamigen Müggelberge mit 114 Metern die höchste Erhebung der Hauptstadt. Der auf Mountainbike-Abfahrten spezialisierte Köpenicker Downhill-Verein hat hier sein Revier. "Dem Berliner seine Alpen," sagt der Kapitän und unterstreicht damit, wie flach die Hauptstadt in der Tat ist und wie sinnlos eine Schifffahrt ohne den Humor aus der einschlägig bekannten Schnauze wäre ("bei der nächsten Brücke Kopf einziehen, die ist denkmalgeschützt"). Fünf Stunden sind eine lange Zeit, doch sie plätschern dahin, wie die Spree in ihrem Treptower Revier: gemächlich, aber abwechslungsreich, aufgefächert in kleine Kanäle und große Wasserflächen, gesäumt von auffälligen Backsteingebäuden wie dem Köpenicker Rathaus und versteckten Ausflugslokalen wie dem heute geschlossenen und von Fontane bekannt gemachten "Eierhäuschen" ("Frau Jenny Treibel").

Kurz nach der Müggelspree fährt die "Mark Brandenburg" dicht an der Stadtgrenze vorbei. Kurvt durch den Dämeritz-see, den Gossener-Kanal, den Seddin- und den Langen See. Passiert die bekannte Regatta-Strecke von Grünau, wo die Ruder- und Kanuwettbewerbe der olympischen Spiele 1936 stattfanden. Am Ende sind 52 Streckenkilometer gemacht und der Hafen von Treptow wieder erreicht. Hier kann man hundert Meter vom Wasser entfernt in die S-Bahn steigen und in wenigen Minuten wieder in die Innenstadt fahren.

Der schreibende Passagier hat noch etwas anderes gemacht: Er hat am nächsten Tag den Tipp des Kapitäns beherzigt und ist an den bezaubernden Ort des Geschehens zurückgekehrt. Diesmal zu Fuß, als Spaziergänger durch Neu-Venedig, mit der Kamera auf dem Mariannensteg stehend und die Gärten hinter dem Hauptkanal fotografierend, die man vom Schiff aus nicht sehen konnte. Am Ufer in Rahnsdorf hat er den Räucherfisch gegessen, den er am Vortag nur gerochen hat und ist zu guter Letzt zum Strandbad aufgebrochen, das den Dampferfahrern als weißer Punkt am Norden des Müggelsees erschien.

Dass er die Badehose vergessen hatte, war nicht weiter schlimm, schließlich wollte er nicht zum Wannsee: Im Badereich der Ost-Berliner ist heute noch ausreichend Platz für die zahlreichen Freunde der Freikörperkultur.

Info Die Schifffahrt "Rund um die Müggelberge" findet bis 4.Oktober täglich statt und beginnt um 12 Uhr am Hafen von Treptow (S-Bahn-Linie9). Man kann auch in Köpenick ein- und aussteigen. Dauer fünf Stunden, Kosten 16 Euro. Info bei der Stern- und Kreis Schifffahrt, Tel. 030 / 5 36 36 00, http://www.sternundkreis.de.Die Tour ist etwas für Berlin-Erfahrene mit Zeit und der Lust, Neues im Osten der Stadt zu entdecken. Die Reederei hat auch zahlreiche andere Berliner Strecken im Programm (Regierungsviertel, Wannsee).

Wer Neu-Venedig und Rahnsdorf auf dem Landwege besichtigen möchte, erreicht es bequem mit dem Auto (A10) oder mit der S-Bahn 3 Richtung Erkner. Wichtig ist ein guter Stadtplan (z.B. "Knick mich" Berlin, 7,95 Euro), der auch die Ränder der Großstadt abbildet. Ein gutes Verkehrsmittel ist auch das Fahrrad, da die Distanzen groß und die Radwege schön sind. In Neu-Venedig sollte man möglichst viele Brücken passieren, da von der Straße aus die Kanäle nicht zu sehen sind. Tipp in Rahnsdorf: Räucherfisch essen in der Müggelsee Fischerei, geöffnet bis Oktober, nur am Wochenende. Das beliebte Strandbad ist schön und kostet derzeit keinen Eintritt.

Allgemeine Auskunft über Berlin und weitere Schifffahrtsanbieter: Berlin Tourismus Marketing, Tel. 030 / 25 00 25, http://www.visitberlin.de