Paula Beer hat einen starken Auftritt in Christian Petzolds neuem Film, Regisseurinnen aus Argentinien und den USA offenbaren sanftere Blicke auf die Welt als viele Männer und in Frankreich dreht sich alles nur um das eine: die Liebe.

Berlin - Endlich hat die Berlinale einen Favoriten: „Undine“ von Christian Petzold, den ersten deutschen Wettbewerbsbeitrag. Paula Beer, aktuell auch als beinharte Investmentbankerin in der zweiten Staffel der Serie „Bad Banks“ zu sehen, spielt hier eine Stadthistorikerin, die wunderbare Vorträge hält, aber ein dunkles Geheimnis hat: Als ihr Freund Johannes Schluss macht, erklärt sie, sie müsse ihn dann umbringen. Doch sie trifft den Taucher Christoph (Franz Rogoswski) und erlebt eine heftige Romanze, die den Fluch aufschiebt – vorerst.

 

Petzold mag mystische Geschichten, in „Yella“ (2007) etwa schickte er Nina Hoss in eine Traumwelt zwischen Leben und Tod. Hier nun setzt er seine Figuren abwechselnd in die unnahbare Berliner Mitte und in zauberhafte Unterwasserwelten. Beer und Rogowski, die schon in Petzolds vorigem Film „Transit“ (2018) gemeinsam zu sehen waren, gehen ungemein behutsam miteinander um, ihre Reibungswärme strahlt auf die Zuschauer ab.

Am grusligen Ende weht der Wind

„Ich kann erst richtig schreiben, wenn ich weiß, wer das spielt“, sagt Petzold. „Dann kann ich nicht mehr alles mit denen machen, das gibt einen Widerstand, und den brauche ich.“ Zur Sage vom Wassergeist erklärt Paula Beer: „Ich mochte die Idee, dass Undine im Grunde eine Serienmörderin ist, die aber vielleicht seit 600 Jahren in dieser Stadt herumgeistert und daher alles über Berlin weiß.“ Das Finale ist gruslig, und während Christoph Undine sucht, weht dann auch der Wind, eine von Petzolds Spezialitäten.

Nur um die Liebe dreht sich der französische Wettbewerbsbeitrag „Le sel des larmes“ („Das Salz der Tränen“) von Philippe Garrel (71). Auf den Spuren Truffauts taucht er Schwarzweiß und mit feinem Humor ins Milieu der Handwerker und Krankenschwestern ein, wo der Tischler Luc (Logann Antuofermo), ein charmanter Waschlappen, parallel mit drei Mädchen anbandelt. So feige der Protagonisten ist, so stark sind die Frauen.

Kein Metoo-Verdacht

Die pragmatische Djemila verzehrt sie sich vor Sehnsucht, und Oulaya Amamra brennt förmlich. Die Romantikerin Geneviève, die gerne bei offenem Fenster duscht, möchte sofort heiraten, Louise Chevillotte verströmt zugleich pure Hingabe und schreckliche Verlustangst. Funkelnde Leidenschaft und Lebenslust versprüht die wilde Betsy (Souheila Yacoub), die Luc im Griff hat und zwingt ihm ihren Liebhaber als Mitbewohner aufzwingt.

Dass nur Mädchen nackt zu sehen sind, setzt Garrel dem Vorwurf aus, ein lüsterner alter Mann zu sein – zumal er Amamras und Yacoubs Hochschullehrer ist und sich bei der Pressekonferenz als langatmiger Selbstrechtfertiger geriert. Der resoluten Moderatorin ist es zu verdanken, dass auch alle drei Protagonistinnen zu Wort kommen, die jeden Metoo-Verdacht abstreiten: „Wir haben ein Jahr lang geprobt, das war eine fortgesetzte Arbeit am Drehbuch, was wir ändern, umschreiben, behalten“, sagt Chevillotte. Und Yacoub erklärt: „Ich habe meine Figur in diesem Prozess überhaupt erst gefunden, das ist eine freie Frau, die weiß, was sie will, und die schläft, mit wem sie will.“ Mal laut und mal leise ist dieser Film, Yacoub hat eine feurige Tanzszene in einem Club, Amamra ein stille im Bus, in der Dejmila und Luc einander nur scheu ansehen ohne zureden.

Angst vor dem eigenen Horror

Das erste Berlinale-Wochenende gehört den Frauen, die auf dem Regiestuhl immer noch in der Minderheit sind. Im Wettbewerb zeigt die Argentinierin Natalia Meta „El Prófugo“, „Der Eindringling“. In dem Psycho-Horror-Drama entdeckt die Synchronsprecherin Inés (Érica Rivas) im Studio seltsame Störfrequenzen auf ihrer Stimme. Bald verschwimmt ihre Wahrnehmung in dunklen, rot und blau ausgeleuchteten Räumen, unterlegt mit Chorgesang und mächtigem Orgelsound, und es wird klar: Inés ist besessen, etwas hat sich in sie eingeschlichen.

„Der Film handelt von Mysterien, vom Mysterium des weiblichen Begehrens auch“, sagt Meta. „Die Protagonistin versucht, sich anzupassen, sie reagiert auf das, was die Umwelt von ihr erwartet, aber unterhalb dieser Oberfläche hat sie Wünsche.“ Meta löst auch auf, wieso sie den Grusel nur mit angezogener Handbremse zulässt: „Ich habe selbst immer ein bisschen Angst, wenn ich Horrorfilme sehe“, gibt sie mit weiblicher Offenheit zu, was Männer eher verheimlichen würden.

Erzählen Frauen anders?

Die US-Amerikanerin Kelly Reichardt reist in „First Cow“ zurück ins wilde Oregon des Jahres 1820, wo ein sanfter Koch und ein chinesischer Abenteurer nachts heimlich die Kuh des lokalen Gutsherren melken, die einzige weit und breit. Die Milch brauchen sie für Gebäck, mit dem sie im nahen Fort gutes Geld machen, das damals vielgestaltig war und noch nicht Dollar hieß. Was wirkt wie eine Lausbubengeschichte, hat natürlich Konsequenzen in der harten Welt der Pelzjäger, Kolonisten, Soldaten und verlorenen Indianer.

Die historische Kulisse regt die Vorstellungskraft an, der üppige Wald und der Columbia River stehen für die Kraft der Natur und die Auflösung weist in die Gegenwart – aber Reichardt verschleppt das Erzähltempo für eine schmale Geschichte, in der Gewalt und Gefahr allenfalls angedeutet werden – die beiden Männer, die in einer Hütte im Wald hausen, sind nicht einmal bewaffnet. Verglichen mit Alejandro G. Iñárritus Oscar-Gewinner „The Revenant“, der zur selben Zeit spielt, wirkt „First Cow“ geradezu harmlos und lieblich. Diese beiden Filme legen nahe: Zumindest manche Frauen erzählen anders, sanfter.