Georg Patzer hat für Killer & Co. Bernhard Jaumanns „Turm der blauen Pferde“ gelesen – und „eine pingelige Kritik, manchmal polemisch und sicherlich unfair“ verfasst.

Stuttgart - „Wir könnten alle ein bisschen mehr lesen.“ Mit diesem Spruch wirbt der Diogenes Verlag für das Lesen. Ich habe daruntergeschrieben: „Ich nicht.“ Denn meine Zeit ist begrenzt. Und so nehme ich mir das heraus, was viele andere Leser auch machen: Ich klappe ein Buch nach ein paar Seiten zu und lege es beiseite, wenn es mir nicht gefällt (ich lege es beiseite – Bücher wegzuwerfen, wie es dieser „Kritiker“ im Fernsehen und bei Lesungen tut, halte ich für einen barbarischen Akt). Der Rest wäre gestohlene Lebenszeit.

 

Halt Pech gehabt

Ich nehme mir jetzt aber auch etwas heraus, was die meisten Rezensenten nicht machen (oder nicht zugeben): Ich schreibe eine Rezension darüber, obwohl ich Bernhard Jaumanns „Turm der blauen Pferde“ nur bis Seite 45 gelesen habe. Warum? Weil ich es eben nicht weiterlesen will. Das kann unfair sein, denn es kann ja sein, dass ab Seite 46 der Krimi zu einer wahren Orgie an Sprachfeinheiten und politisch, historisch oder künstlerisch wichtigen Einsichten wird. Ich glaube es nicht. Und wenn es doch so ist, habe ich halt Pech gehabt. Es ist also keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Buch, manchmal bin ich auch polemisch – aber das kann passieren, wenn ich mich ärger. Nehmt’s nicht persönlich, es ist nicht persönlich gemeint.

Warum also lese ich nicht weiter? Weil auf den ersten Seiten diese Sätze vorkommen (keine Angst, ich weiß, dass ich pingelig bin, Pingel ist geradezu mein zweiter Vorname):

„Ludwig schaute zu den Gipfeln auf, über denen zerfetzte Wolken Richtung Osten jagten, als hätten sie ein Ziel.“ Naja.

„Vielleicht war es auch gar nicht der Wind, sondern das Blut, das unerbittlich in Ludwigs Ohren pochte und ihm in einer fremden Sprache Geheimnisse zuflüsterte. Vor seinen Augen spannten unsichtbare Spinnen allmählich Zwielicht zwischen den Bäumen aus.“ Kann Wind in den Ohren pochen? Und der Rest ist einfach nur noch gewollt verschwiemeltes Raunen – eine Art Rilke im Krimi.

„(...) ein leicht modriger Hauch (...). Ein Geruch wie vom Fell ertränkter junger Katzen.“ Na, gut, das lasse ich grade noch durchgehen, obwohl ich nicht weiß, warum sie ertränkt sein müssen und nicht einfach nur nass sind. Oder warum es junge Katzen sind.

Dann sieht die Detektivin von einer Terrasse Segelboote auf einem See. Sie „versuchte sich vorzustellen, dass das scheinbar ziellose Hin und Her einem geheimen Sinn folgte. Wenn die Spuren der Boote auf dem gleißenden Wasser sichtbar blieben, könnte man womöglich ein Muster erkennen, Schriftzeichen, die sich zu einer Botschaft formten. Zumindest für jemanden, der sie zu deuten verstand.“ (Müsste es nicht „verstünde“ heißen?)

Landeplan für ein Ufo

Naja, womöglich ist alles möglich. Womöglich sieht man dann auch den Landeplan für ein Ufo. „Spuren der Boote“ finde ich auch etwas arg preziös für die Wellen, die man sieht. Aber zunächst versucht sie sich vorzustellen... Richtig: Sie stellt es sich nicht vor, sondern sie versucht es. Ich versuche mir grade vorzustellen, dass sich Wellen zu Schriftzeichen zu einer Botschaft formen, die man versteht, wenn man sie deuten kann. Sonst nicht. Ja, tut mir leid, aber so steht es scheinbar womöglich im Buch.

Die beiden Heldinnen sitzen auf der Terrasse einer Villa: „Alles solide zusammengeschraubt, hatte Rupert auf der Herfahrt vom Münchner Büro gesagt. Das war wörtlich zu nehmen, denn Egon Schwarzer hatte sein Vermögen mit Schrauben gemacht.“ Eben nicht: Wörtlich genommen wäre das Haus tatsächlich zusammengeschraubt und nicht zum Beispiel gemauert gewesen.

Da ich Ausrufezeichen nur mag, wenn jemand wirklich ruft (eine Marotte von mir, ich weiß), passen mir auch diese beiden Sätze nicht: Klaras Vater meint, dass Franz Marcs Bild „Der Turm der blauen Pferde“ für eine „um neue Erfahrungen ringende Kunst verloren“ sei: „Nur noch historisch interessant!“ Ausrufezeichen. Aber das ruft oder brüllt er eben nicht. Nur wenig weiter unten steht: „Und doch hatte dieses Bild auf der Staffelei etwas an sich!“ Mit Ausrufezeichen! Und auch das wird nicht gebrüllt von der Heldin, sondern es ist ein Gedanke aus ihrem Kopf, den der Erzähler wiedergibt.

Es pocht der Wind, das Blut, das Was

Noch etwas aus der Pathos-Abteilung: „Vielleicht hatte sie mit ihrer ganzen Abgeklärtheit nur eingemauert, was tief in ihr pochte und schrie.“ (Dieses ständige Pochen ist auch auffällig, erst der Wind oder das Blut und dann ein Was.)

„Draußen hatte die Dämmerung vom Innenhof Besitz ergriffen.“

Währenddessen hat der andere Held eine Bedienung in einem Wirtshaus kennengelernt: „Wenn man sich das Piercing wegdachte, hatte sie ein schönes, perfekt proportioniertes Gesicht.“ Muss ein riesiges und vor allem schweres Piercing sein, wenn es die Proportionen derart verschiebt…

Die Protagonistin „stellte sich eine solche Geschichte gern als Seil vor, das mal straff gespannt, mal knotenreich und in verschlungenen Windungen durch den Nebel der Zeit reichte.“ Später „saugte sie jedes Wort ihres Vaters begierig auf. Der Worte waren viele gewesen“. Ja, und der verdrehten Sprache auch.

Die Fußnägel hochgeklappt

Da habe ich dann wirklich aufgehört. Über vierzig Seiten mit einer Handlung, die sicherlich noch einmal spannend wird (es geht um Bilderdiebstahl und Provenienzforschung, spannende Themen fürwahr), aber in einer Sprache, bei der es mir - wörtlich genommen – die Fußnägel hochklappt. Es gibt bestimmt Menschen, die das nicht stört: Geschmäcker sind ja verschieden, und man disputiert darüber nicht. Ich finde es auch in Ordnung, ich bewerte solche Menschen überhaupt nicht und schon gar nicht ab: de gustibus... Ich wollte es nur mal anmerken.

Bernhard Jaumann: Der Turm der blauen Pferde (Kunstdetektei von Schleewitz ermittelt, Band 1), Galiani Verlag, 336 Seiten, 15 Euro