Ein alter Storch namens Peter erstaunt Besucher auf dem Affenberg. Er ist alles andere als scheu und Dauergast im Biergarten.

Wer den Affenberg bei Salem besucht, kann dort Störche und Berberaffen in freier Wildbahn erleben. Meist flattern und faulenzen diese Tiere auf Distanz – so will es auch das Konzept dieses Reservats im Bodenseekreis. Nur ein tierischer Bewohner macht eine hochwillkommene Ausnahme: Ein alter Storch stakst in aller Gemütsruhe durch den Biergarten, in dem sich die Besucher erfrischen und ihre Kinder am Eis lutschen. Der 37 Jahre alte Vogel ist Menschen gewohnt. Peter geht würdevoll durch die Reihen, schaut zum Geschirrwagen und lugt sogar in die Cafeteria hinein – zur größten Freude der Gäste.

 

Daheim auf dem Affenberg

Diese Zutraulichkeit ist bei Störchen ungewöhnlich. Normalerweise meiden diese Tiere den Menschen. Bei Peter ist es anders. Er wuchs durch Handaufzucht auf, wurde von Tierpflegern gefüttert. Denn der Methusalem unter den etwa 200 Störchen am Affenberg zählt zur ersten Generation der Spezies an diesem Ort. 1978 wurde der Mendlishauser Hof dazu bestimmt, die Störche vor dem Aussterben zu retten. Durch den Wegfall ihrer Lebensräume waren die Tiere in ihrer Existenz bedroht. Peter gehört zu den ersten Vögeln, die man auf den Hof holte.

37 Storchenjahre entsprechen weit über 100 Menschenjahren. Peter nimmt schon deshalb einen besonderen Status ein, berichtet Parkleiter Roland Hilgartner. Außerdem ist er das Oberhaupt einer stattlichen Nachkommenschaft. 60 Jungstörche werden seiner Vaterschaft zugerechnet, er half beim Aufziehen im Horst. Freilich haben ihm die vielen Jahre zugesetzt. Er schreitet eher langsam zwischen den Bierbänken durch – so feierlich, dass ihn die Menschen bestaunen, aber nicht anfassen. „Wir wollen nicht, dass die Tiere berührt werden. Streicheln würde er nicht akzeptieren“, sagt Hilgartner. Peter wirkt ein wenig zerzaust, die Jahre haben sein Federkleid etwas strapaziert. Am Flug in den Süden, der im August stattfindet, nimmt er nicht mehr teil. Er ist Dauerbewohner am Mendlishauser Hof und erhält dort zuverlässig seine Nahrung.

Immer wieder trafen ihn tierische Schläge. 2017 verlor er seine langjährige Partnerin, nachdem sie mit einem Auto zusammengestoßen war. Und im vergangenen Jahr versetzte ihm ein deutlich jüngerer Konkurrent einen heftigen Schlag: Er warf Peter aus seinem angestammten Horst hinaus.

Leben als Wittwer

Seit dieser Vertreibung aus dem natürlichen Lebenszentrum ist der gefiederte Alterspräsident ohne Horst. Im Kassenbereich hat er sich notdürftig einen neuen Platz geschaffen. Dort wohnt das berühmte Tier als Single. Von dort hat er es nicht mehr weit zum Biergarten. „Vermutlich hat er nicht mehr die Kraft für weitere Jungstörche“, sagt Roland Hilgartner. Dass ihm eine Störchin fehlt, scheint man ihm anzusehen. „immer wieder schaut er mit traurigen Blicken zu seinem alten Horst hoch.“

Diese wechselreichen Tierschicksale kennen die wenigsten Besucher des Affenbergs. Für sie ist Peter eine Art Empfangsdirektor, der neue Gäste mit ernstem Blick mustert und dann weiter spaziert. Besonders vor Kindern bleibt er gerne stehen, faltet das linke Bein ein und steht minutenlang nur auf dem rechten Bein. Diese Momente auf Augenhöhe gehören zu den schönsten Erlebnissen eines Sommertages. Was der bejahrte Storch wahrscheinlich nicht weiß: Durch seine regelmäßigen Kontrollgänge hat er es in unzählige Fotoalben geschafft, in denen er mit Kindern, Patentanten und Großvätern abgebildet ist, die auf ihn einreden – während Peter sehr ernst dreinschaut.