Die Anti-Matsch-Tomate war noch ein Flop
Damit schließt sich ein Kreis. Denn auch die Anfänge der Gentechnik in der Landwirtschaft sind eng mit Tomaten verknüpft. Die Flavr-Savr-Tomate war 1994 das erste Produkt der Gentechnik in der Hand des Verbrauchers. Die Früchte waren länger haltbar, weil bei ihnen ein Gen ausgeschaltet wurde, dessen Aktivität im Laufe der Zeit die Zellwände im Fruchtfleisch abbaut. Doch die Anti-Matsch-Tomate fand keine Freunde: Der Verbraucher fremdelte mit dem Verzehr der als Kunstprodukt wahrgenommenen Tomate, die längere Haltbarkeit war nicht attraktiv genug. Die Industrie mochte die Frucht nicht besonders, weil die Verpackungs- und Verarbeitungsmaschinen mit ihr nicht zurechtkamen. Und auch die Landwirte verloren rasch die Freude am Produkt, denn im gewöhnlichen Anbau erwies sich die Tomate als zu wenig widerstandsfähig gegen Schädlinge. 1997 verschwand sie vom Markt.
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Nach diesem Fehlschlag sind die neuen Tomatendesigner vorsichtig. „Wir haben es nicht eilig, die Tomate kommerziell einzuführen, das Wichtigste ist, den Verbraucher zu überzeugen“, sagt Shimpei Takeshita, Präsident von Sanatechseed. Deshalb verschenkt er seine Pflanzen in Japan an 5000 Freiwillige, die Erfahrungen mit der eigenen Ernte sammeln sollen. Erst für den nächsten Sommer plant Takeshita den kommerziellen Anbau.
Pflanzen werden mit der Crispr/Cas-Genschere bearbeitet
Die GABA-Tomate gehört zur zweiten Generation der Gentechnik. Während die umstrittene erste Generation vor allem den Landwirten im industriellen Ackerbau helfen sollte, wählen die Pflanzenentwickler nun einen anderen Weg. Die Produkte sollen dem Verbraucher direkt einen Vorteil bieten. In den USA kam im Mai das neue Sojaöl Calyno auf den Markt, das beim Erhitzen keine gesundheitsschädlichen Transfettsäuren bildet. Der Hersteller Calyxt will mit dem Öl aus einer gentechnisch veränderten Pflanze nur die Gastronomie und Lebensmittelhersteller beliefern.
Andere Produkte dieser Strategie stecken noch in der Entwicklung, die vom wachsenden Wissen um die Bedeutung einzelner Gene profitiert. Gleichzeitig haben die Pflanzenzüchter neue Werkzeuge erhalten. Mit den Genscheren Crispr/Cas und Talen können sie gezielt Veränderungen am Erbgut der Pflanze vornehmen, die nötig sind, um deren Eigenschaften zu verändern. Einige Ideen sollen Nutzpflanzen fit für den Klimawandel machen. Viele Projekte zielen aber direkt auf Vorteile für Verbraucher und Lebensmittelhersteller.
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Gentechnik für Kaffee ohne Koffein und Tabak ohne Nikotin
Erbsen sollen mehr Geschmack erhalten, Senf weniger Bitterstoffe, Kaffee kein Koffein und Tabak weniger Nikotin. Demnächst sollen Kirschen keine Steine mehr bilden und die Kerne bei Himbeeren und Brombeeren verschwinden. Die Züchter arbeiten an Weizensorte ohne Gluten und an Erdnüssen, die keine Allergien auslösen können. Kartoffeln und Auberginen sollen beim Lagern nicht mehr braun anlaufen, Petunien in neuen Farben blühen.
Doch Eva Gelinsky warnt vor allzu großen Versprechungen. Die Agrarforscherin erstellt seit 2016 für das Schweizer Bundesamt für Umwelt jährlich einen Bericht, welche Nutzpflanzen weltweit mithilfe der neuen gentechnischen Verfahren entwickelt werden. 140 Vorhaben sind derzeit in der Pipeline. „Ich erwarte zwar einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl dieser Projekte“, sagt sie, „aber trotzdem ist auch in Zukunft nicht mit einer Flut marktfähiger Pflanzensorten zu rechnen.“ Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass ein verändertes Genom bestimmte Eigenschaften stärkt, aber das Wachstum oder die Erträge einer Pflanze verschlechtert. Diese Pflanzen schaffen es am Ende doch nicht auf den Acker. „Es gibt immer mehr Beispiele, für bereits zur Kommerzialisierung angekündigte Produkte, die aus der Vermarktungspipeline völlig verschwinden oder deren Markteinführung immer wieder verschoben wird“, berichtet Gelinsky.
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Anderswo muss das Gengemüse nicht gekennzeichnet werden
Mit den neuen Produkten kommt auf Europa ein Problem zu. GABA-Tomate und Sojaöl müssen im heimischen Markt nämlich nicht als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden. Japan, die USA und viele andere Länder bewerten den Einsatz der Genschere während der Zucht nicht als Gentechnik. Sie argumentieren, dass die Veränderungen im Erbgut so gering seien, dass sie auch auf natürlichem Wege hätten entstehen können. Das strikte europäische Recht sieht das anders: Wenn der Züchter eine gentechnische Methode verwendet, müssen die Pflanze und ihre Produkte als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden. Die Hersteller müssten Lieferungen von Tomaten und Sojaöl für Europa also freiwillig anders kennzeichnen, damit der Import erlaubt wird.
Vermutlich müssen die EU-Kontrolleure darauf vertrauen, dass die Hersteller alles korrekt angeben. Denn derzeit gibt es keine Labortests, mit denen sich die Beteiligung einer Genschere an der Zucht nachweisen lässt. Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides wirbt deshalb für einen „offenen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament, um gemeinsam über den künftigen Umgang mit diesen biotechnologischen Verfahren zu entscheiden“.
Anbauflächen
Nach den Zahlen des Branchenverbands ISAAA wurden 2019 in 29 Staaten auf 190 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. 91 Prozent der weltweiten Anbauflächen liegen in den USA, Brasilien, Argentinien, Kanada und Indien. Außer in Europa wachsen auf allen Kontinenten Hightechpflanzen im großen Stil. Im Jahr 2019 startete der Anbau in Kenia, Malawi, Äthiopien und Nigeria.
Erfolgreiche Pflanzen
Soja, Mais, Baumwolle und Raps sind flächenmäßig die wichtigsten Genpflanzen. Sie machen 99 Prozent der Anbauflächen aus. Bei Baumwolle liegt der Anteil bei 79 Prozent der weltweiten Ackerfläche, vor Soja (74), Mais (31) und Raps (27).