Meeresanbeter? Alles Angsthasen, findet StZ-Kolumnistin Ulla Hanselmann. Das wahre Glück liegt ihrer Meinung nach in der baumfreien Zone.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Keine Ahnung, wann ich mit dem Virus infiziert wurde. Vermutlich schon als Kind, warum sonst habe ich in der Grundschule am liebsten das Jungschar-Liedchen „Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen“ geträllert? Seitdem lautet die Diagnose: Bergfieber, lebenslänglich. Therapie: zwecklos.

 

Ich gestehe: ich bin den Verheißungen der baumfreien Zone hoffnungslos erlegen. Was versprechen sie einem nicht alles, die Berge dieser Welt, körperlich, seelisch und überhaupt: Fitness, Gipfelglück, Selbstfindung, Gottesnähe, Reinheit („Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd“). Aber mit der Erfahrung, mit jedem erklommenen Gipfel reift auch eine schmerzliche Erkenntnis. Da, wo der Berg ruft, hallt’s oft ganz grausig zurück. Denn der Berg ist immer auch: Trachtenhölle, Gemütlichkeitsinferno, Müllplatz (Basislager am Mount Everest), größter irdischer Jahrmarkt der (männlichen) Eitelkeiten. Und wo mündet die Herbergskultur in die Apokalypse? Im Matratzenlager! Aber wer liebt, der leidet. Stöpselt sich in der Berghütte nächtens die Ohren zu und schwärmt für Männer wie Luis Trenker oder Reinhold Messner. Für jede Bergtour eine Falte im Gesicht, das ist wahre Schönheit. Brad Pitt, du Babybacke, du kannst einpacken.

Also schnüren wir weiter, so oft es nur geht, unsere Lowa-Stiefel und stürmen schnaufend himmelan. Immer noch besser als das, was die andere Hälfte der Menschheit, die Meeresanbeter, im Urlaub am liebsten tut: am Strand liegen und aufs Wasser starren. Alles Hosenbiesla (bergsteigerisch: Angsthase)! Die Bergliebe schwindet auch nicht, wenn man längst mit dem Südtiroler Bergsteiger Hans Kammerlander auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist: „Jeder Gipfel ist in Wirklichkeit nur ein Umweg zur nächsten Kneipe.“ Der Berg ruft – wir kommen. Zum Wohlsein!