Der Bestatter Fritz Roth hat für einen offenen Umgang mit dem Tod gekämpft. Jetzt verändert der Krebs alles. Wie ist es, wenn man sein Leben lang Hinterbliebenen hilft und nun selbst dem Tod ins Auge blicken muss? Ein Besuch bei Roth daheim.

Bergisch-Gladbach - Ein Schatten lag auf der Leber. Kein Fleck, eher eine Wolke. Man konnte es deutlich im Ultraschall sehen. So groß wie ein halber Fußball hatte sich der Schatten schon vor das Organ geschoben. Die Diagnose traf ihn nicht unvorbereitet, doch als sein Arzt sie aussprach, da kämpfte er doch gegen die Tränen.

 

Krebs ist die zweithäufigstes Todesursache in Deutschland. Fritz Roth weiß das besser als viele andere. Er ist Bestatter, wenn auch einer, der so gar nicht dem Bild des Bestatters entspricht. Leise und diskret, das ist nicht sein Stil. Fritz Roth sucht die Öffentlichkeit. Eine stattliche Gestalt in edlem Zwirn, freundliche Augen hinter einer randlosen Brille, ein wohltönender Bass, Licht spiegelt sich auf seiner imposanten Stirnglatze.

Der Tod ist nicht verhandelbar

Jahrelang ging Roth mit einem Thema hausieren, von dem Seelsorger sagen, es sei dafür zu privat: der Tod. Er polterte, er predigte, er prangerte an. Dass der Tod nicht verhandelbar sei; dass man ihn annehmen müsse: das sind so Sätze, die der 63-Jährige abspulte. Trauer zuzulassen, sich nicht vorschreiben zu lassen, wann, wo und wie lange man Abschied nimmt, war sein Credo. „Trauer-Guru“ hat die FAZ ihn genannt.

Seit März weiß Roth, dass seine Uhr tickt. Noch spürt er keine Schmerzen. Doch der Krebs sitzt schon in der Lunge. Eine Operation und zwei Chemotherapien konnten ihn nicht stoppen. Fritz Roth sagt, im schlimmsten Fall blieben ihm noch sechs Monate. Er hat deswegen schon zig Interviews gegeben, eines mit seinem Freund, dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, ein Rheinländer wie er, ein Katholik, ein Karnevalist. Auch er ist schwer an Krebs erkrankt. Auch er geht offensiv mit der Diagnose um. Sie hält ihn aber nicht davon ab, ein weiteres Mal für den Bundestag zu kandidieren.

Weiter kämpfen

Nie die Hoffnung aufgeben. Weiter kämpfen. Das Leben genießen, solange es noch geht. Das sind so Phrasen, mit denen die beide Freunde um sich werfen wie mit Kamellen. Man versteht plötzlich, was die beiden am Karneval fasziniert. Es ist eine Show, ein Versteckspiel, ein Maskenball. Aus aktuellem Anlass haben sie sich als Clowns kostümiert. Sie lachen dem Tod ins Gesicht. Solche Auftritte passen in die Jahreszeit.

Andere Bestatter registrieren es mit Unbehagen, dass Roth so oft über seine Erkrankung spricht. PR für sein eigenes Unternehmen? Lobbyarbeit für die Hinterbliebenen? Das eine war kaum vom anderen zu trennen. Doch jetzt, da seine eigene Uhr tickt, bekommen seine Auftritte einen Beigeschmack. Wie kann er Beerdigungen als Geburtstagsfeiern verkaufen, wenn er merkt, wie die eigene Kraft schwindet?

Zu Gast beim Totengräber

Ein Besuch in Roths Heimat Bergisch-Gladbach. Eine trutzige Stadt neben Köln, mehr Kirchen als Drogerien. Roths Unternehmen liegt auf einem Berg. Eine Zufahrt schraubt sich in Serpentinen durch einen Laubwald. Totempfähle säumen den Weg. Bunte Herzen brechen sich durchs Laub. Kinder haben sie für ihre verstorbene Mutter gemalt. Dies ist Deutschlands einziger privater Urnenfriedhof. Hier sind die Überreste von 1300 Menschen begraben, vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Künstler, keiner von ihnen namenlos, das ist die einzige Bedingung.

Im Jahr 2006 zog Fritz Roth vor Gericht, um die Genehmigung für den Friedhof zu bekommen. Es ist sein Vermächtnis. Ein Friedhof als Biotop und Bühne. Die Bläck Fööss haben hier schon gespielt, im Firmensitz gehen Kabarettisten ein und aus. Man versteht jetzt, warum Roth das Wort „Bestattungsinstitut“ nicht mag.

Er organisiert 900 Beerdigungen im Jahr

In Roths Villa im englischen Landhausstil – 30 Angestellte, wie Wohnzimmer möblierte Abschiedszimmer, viel Licht – kann man den Puls einer Branche spüren, die nach neuen Wegen suchen musste. Die Sterbezahlen sanken infolge zweier Kriege jahrelang, immer mehr Bestatter drängten auf den Markt. Rund 4500 sind es in Deutschland,Fritz Roth ist einer der erfolgreichsten. 900 Beerdigungen organisiert er pro Jahr, dreimal so viele wie vor zehn Jahren. Trauerbegleitung ist seine Marktlücke. Er hat sie 1982 entdeckt, als er seinen Job als Unternehmensberater kündigte, um noch einmal neu durchzustarten.

Asche, die in der Nordsee, aber nicht in den Rhein gestreut werden durfte. Eltern, die sich einfach im Krankenhaus von ihrem toten Kind verabschieden sollten. Leichname, die in die Pathologie abgeschoben wurden. Roth sagt, er sei geschockt gewesen. So hatte er den Tod nicht in Erinnerung. Fritz Roth war sechs, als seine Großmutter starb, daheim auf dem Bauernhof. Die Familie hat ihr das Lieblingskleid angezogen und sie im Wohnzimmer aufgebahrt.

Der Anblick der toten Oma

Natürlich habe er geweint, sagt er. Aber dann habe er sich an den Anblick der toten Oma gewöhnt. Er berührte ihre Hand, die ihm so oft Stullen geschmiert hatte. Das nahm ihnen die Angst. Und auch an den Ausdruck in ihrem Gesicht will Roth sich noch heute erinnern. Er hat ihn später noch bei anderen Toten gesehen. Friedlich habe sie ausgesehen. „Als hätte sie etwas gesehen, was wir nicht mehr zu glauben wagen“. All das will er seinen Kunden vermitteln. „Sie sollen den Tod begreifen.“

„Promi-Bestatter plant eigene Beerdigung“, hat ein Boulevard-Blatt getitelt, als Fritz Roth seine Krebserkrankung publik machte. Eine Sause solle seine Beisetzung werden, hatte er verkündet, jovial wie immer. Man erfuhr, dass er sich Lieder von Pavarotti und Hubert von Goisern wünschte. Whitney Houston sollte auch dabei sein: „One Moment in Time.“

Der Seniorchef hat es plötzlich eilig

Jetzt zuckt er zusammen, wenn man ihn darauf anspricht. Seine Tochter Hanna, 24, ist zur Tür hereingekommen. Er hat ihr und ihrem Bruder David das Unternehmen übertragen. Hanna hat Event-Management studiert. Sie streicht sich über den gewölbten Bauch. Im Dezember kommt ihr erstes Kind zur Welt. Ein Junge. Sie sagt, der Name stehe schon fest: Fritz.

Der Seniorchef hat es plötzlich eilig. Er sagt, er sei kaputt. Er wolle sich noch Träume zu erfüllen. Reisen zum Beispiel. Doch eine innere Unruhe treibt ihn an. Jetzt, da der Tod näher rückt, scheint er ihn selbst immer weniger zu verstehen.

„Der Tod ist wie ein Erdrutsch“

Es ist ja auch schwierig. Er weiß nicht, was ihn erwartet. Er kann bloß hoffen, dass er recht behält. Die friedlichen Gesichter der Toten. Der Gottesbeweis.

Bevor sich Fritz Roth verabschiedet, führt er die Reporterin auf den „Pfad der Sehnsucht“. Es ist eine Kunst-Installation, sie soll erklären, was unaussprechlich ist. Ein gläserner Gang führt an einem Regal vorbei mit dem, was vom Leben übrig blieb: eine Brille, ein Holzlöffel, ein Fotoapparat. Roth öffnet eine Tür, dahinter lauter Felsen. Wie eine Woge brechen sie hinein. Man bleibt wie angewurzelt stehen. Es scheint, als habe er nur auf diesen Moment gewartet. Er sagt: „Der Tod ist wie ein Erdrutsch. Wenn er kommt, können Sie nur hoffen, dass da eine Hand ist, die Sie hält.“

Die Bestattung ist individueller geworden

Das Thema Beerdigung ist individueller geworden. Die Branche reagiert damit auf sinkende Sterbezahlen und wachsende Konkurrenz. Man muss seine Asche nicht gleich ins All schießen oder zu einem Diamanten pressen lassen. Besondere Urnen und Trauerfeiern liegen im Trend. Gleichzeitig gibt es Anbieter für Billigbestattungen.

Am 17. November informiert die von der Branche initiierte Internetplattform „Für Hinterbliebene“ beim zweiten „Tag der Hinterbliebenen“, worauf im Trauerfall zu achten ist.

Von 17. bis 23. November läuft in der ARD die Themenwoche „Leben mit dem Tod“. Am Sonntag ist Fritz Roth in der Talkshow von Günther Jauch zu Gast.