Bestechend aktuelle Fotoschau im WKV Manche müssen draußen bleiben
Rassismus als bildpolitisches Unrecht: Der Württembergische Kunstverein erschließt die empathische und geschichtsbewusste Fotokunst von Carrie Mae Weems.
Rassismus als bildpolitisches Unrecht: Der Württembergische Kunstverein erschließt die empathische und geschichtsbewusste Fotokunst von Carrie Mae Weems.
Manche müssen draußen bleiben. Carrie Mae Weems zum Beispiel. Im bodenlangen schwarzen Kleid hat sie sich vor den Pariser Louvre, den Dresdner Zwinger oder das Guggenheim in Bilbao gestellt und fotografiert. Eine lebende Skulptur, die dem Betrachter den Rücken zudreht. Mit ihrer Werkserie „Museums“ erinnert die in Portland/USA geborene Künstlerin daran, wie unterrepräsentiert People of Colour im internationalen Ausstellungsbetrieb immer noch sind – allen Gleichheitsgesetzen zum Trotz. Als Weems dann doch 2014 vom New Yorker Guggenheim Museum mit einer Retrospektive gefeiert wurde, war sie die erste Afroamerikanerin überhaupt, der das traditionsreiche Haus eine solche Ehrung gewährt hat.
Ausgrenzung, Alltagsrassismus und Institutionenkritik sind die großen Lebensthemen der heute 68-Jährigen. So auch jetzt im Württembergischen Kunstverein (WKV) in Stuttgart, der dreißig verschiedene Werkserien aufbietet, um das Schaffen der Wahl-New-Yorkerin zu erschließen.
„Ich bin keine politische Künstlerin“, sagte Weems gegenüber einem US-Magazin. Der Satz mag angesichts ihrer Auseinandersetzungen mit rassistischer Gewalt überraschen, trifft aber zu. Mehr Archäologin als Aktivistin, sichert sie die Spuren eines vergangenen Unrechts, das seine Schatten auf die Gegenwart wirft.
Dahingehend ist auch das Motto der Schau zu verstehen: „The Evidence of Things not seen“, also „Der Beweis von Dingen, die man nicht sieht“. Ursprünglich stammt der Titel von James Baldwin, dessen gleichnamiges Buch die Ermordung farbiger Kinder behandelt. Wie der Schriftsteller und Bürgerrechtler versucht auch Weems, Ungesehenes oder Verdrängtes ins Bewusstsein zu bringen. Der Zyklus „Slave Coast“ von 1993 etwa besichtigt ehemalige Umschlagplätze des westafrikanischen Menschenhandels. Immer noch scheinen die Gespenster von Sklaverei und Kolonialismus in den verlassenen Festungen umherzugehen.
Neben der ethnischen Unterdrückung beschäftigen Weems auch feministische Fragen. So kritisieren die Fotos der frühen „Kitchen Table Series“ das Rollenbild einer schwarzen Community, die Frauen auf Hausarbeit festlegt. Hauptakteurin des inszenierten Storyboards ist Weems selbst. Entschlossen aufgerichtet, die Hände auf den Küchentisch gestützt, macht sie die eigene körperliche Präsenz zum Ausdrucksfaktor der Bilder. Ihr schauspielerisches Talent bescherte Weems, nebenbei bemerkt, auch einen Gastauftritt in Spike Lees Netflix-Serie „Nola Darling“.
Die Stuttgarter Schau ist die bislang umfangreichste der US-Amerikanerin in Deutschland. Trotz der Vielzahl an Exponaten wirkt sie luftig und einladend. Wie ein dreidimensionales Album empfängt der Vierecksaal des WKVs den Besucher. Mächtige Leuchtkästen und von der Decke flatternde Pigmentdrucke wechseln mit kleineren Abzügen und stillen Sitzecken. Als genuiner Bestandteil der postkolonialen Gedächtnisarbeit dienen Texttafeln der Erläuterung, manchmal der Richtigstellung. Schließlich liefert keine Kamera unschuldige Bilder, wie Weems in „From Here I Saw What Happened and I Cried“ unterstreicht. Gleichnamiges Projekt begann mit einem Archivfund: Daguerreotypien schwarzer Sklaven aus dem Bundesstaat South Carolina. Zur Zeit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert sollten die Aufnahmen der pseudowissenschaftlichen „Rassenkunde“ als Studienobjekt dienen. Besonders die herabwürdigende Art der Darstellung – viele wurden nackt oder halb nackt porträtiert – hat Weems herausgefordert. Zur Wiedergutmachung bildpolitischen Unrechts hat sie die ursprünglichen Aufnahmen noch einmal abfotografiert und mit roten beziehungsweise blauen Filtern überzogen. Eine symbolische Schutzschicht gegen den grausamen Blick einer weißen Anthropologie. Hat doch deren hautfarbenfixiertes Menschenbild Stereotype erzeugt, die hartnäckig weiterleben. Bestes Beispiel ist das Racial Profiling. Diese an äußerlichen Merkmalen ausgerichtete Polizeitaktik persifliert Weems in einer Wandinstallation. Sie besteht aus lauter unscharfen Porträts einer Überwachungskamera, allerdings sieht man stets denselben jungen Schwarzen mit Kapuzenjacke. Den üblichen Verdächtigen der Ordnungsbehörden, die betriebsblind immer nur auf das eine achten und denen deswegen alles andere entgeht.
Indem sie die Traditionslinien von Diskriminierung freilegt, erweist sich die geschichtsbewusste Fotokunst von Carrie Mae Weems als bestechend aktuell. Gerade vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den USA, wo rechtspopulistische Gruppierungen wieder eine „weiße Vorherrschaft“ fordern oder Wahlreformen das Stimmrecht von Farbigen beschneiden.
Von all dem zeigt sich die Künstlerin betroffen, aber nicht verbittert. Ausgerechnet den Mörder von Martin Luther King hebt eines der fotografischen Tableaus als kontemplative Grabskulptur auf den Sockel. Darin liegt keine Ironie. Vielmehr sieht Carrie Mae Weems in der empathischen Sprache der Trauer die Möglichkeit der Versöhnung. Einer Versöhnung, wie sie nicht nur Amerika so dringend nötig hätte.
Info
Vita
Carrie Mae Weems, Jahrgang 1953, begann ihre Karriere bei Tanz- und Straßentheaterprojekten, bevor sie sich der Fotografie zuwandte. Dank erfolgreicher Soloausstellungen im MoMA sowie im Guggenheim New York gilt sie als wichtigste Vertreterin der afroamerikanischen Kunst in den USA.
Die von den WKV-Direktoren Hans D. Christ und Iris Dressler kuratierte Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Fundación Foto Colectania in Barcelona und anderen in- wie ausländischen Kultureinrichtungen. Bis 10. Juli, Schlossplatz 2, Di–So 11–18, Mi –20 Uhr.