25 blinde und sehbehinderte Schüler habenan einem Lesewettbewerb teilgenommen.

S-West - Mitternacht. Eine dunkle, gebeugte Gestalt schleicht lautlos durch das Seitenschiff der großen Kathedrale.“ Christina Kühnle sitzt mit leicht gesenktem Kopf vor ihren Papierbögen. Langsam lässt das blonde Mädchen ihre beiden Zeigefinger über die Buchstaben gleiten. Sie muss jeden einzeln ertasten. Sie liest in der europaweit akzeptierten Blindenschrift Eurobraille, bei welcher jeder Buchstabe mit einer Kombination aus acht Punkten dargestellt wird. Beim Zeilenwechsel nimmt sie einen anderen Finger, damit keine Brüche im Lesefluss entstehen. So kommt es, dass die Schülerin zwar langsam, aber doch recht flüssig liest. Nur manchmal gerät sie ins stocken. Lange und zusammengesetzte Wörter kann sie nur Schritt für Schritt erfassen und nicht mit einem Blick wie das Auge.

 

25 Schülerinnen und Schüler der Betty-Hirsch-Schule für Blinde und Sehbehinderte in der Nikolauspflege haben am Mittwoch bei einem Lesewettbewerb gezeigt, was sie trotzt ihrer Einschränkungen leisten können.

Jury aus Eltern und Lehrern

Als Christinas Zeit um ist, liest Lea Bogolin weiter aus dem Roman „Kathedrale der Geheimnisse“ von Andrea Jähnel. Anders als Christina nimmt die zwölfjährige Lea ein Manuskript mit sogenannter Schwarzschrift, also normalen Buchstaben, die nur größer gedruckt sind, zur Hand. Die Schülerin ist nicht blind, doch sie hat große Schwierigkeiten, kleine Buchstaben zu entziffern. Für die Schüler, denen das noch schwerer fällt, gibt es auch ein Bildschirmlesegerät, auf dessen Bildschirm ein Text beliebig vergrößert werden kann. „Henry drückte sich vorsichtig an dem Brombeerbusch vorbei und ging auf den Typen zu“, liest Lea flüssig und schnell.

Die Jury aus Eltern und Lehrern der Schule, bewertet die Kinder nach Betonung und Lesefluss. In der Grundstufe sind 16 Kinder der ersten bis fünften Klasse angetreten. Drei von ihnen sind ins Finale gekommen. Aus der Hauptstufe haben neun Kinder teilgenommen. Von ihnen haben es ebenfalls drei ins Finale geschafft. „Ich finde es wichtig, dass die Schüler Spaß am Lesen haben und es als eine sinnvolle Freizeitgestaltung im Computerzeitalter kennenlernen“, sagt Sabine Nitschke, die den Wettbewerb gemeinsam mit ihrer Kollegin Anika Restle organisiert hat. Unterstützt wurden sie vom Verein für Leseförderung, der die Preise gestiftet hat.

Am Ende des Wettbewerbs erhält Lea als ersten Preis den Buchgutschein. Christina Kühnle und Tobias Köstler belegen beide den zweiten Platz. Ganz still und unbeweglich steht die blinde Christina neben Lea und Tobias. Den Kopf hält sie weiter gesenkt, sie wirkt in ihre eigene Welt versunken. Erst als sie den Preis überreicht bekommt und der Applaus aufbrandet, huscht ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht.