Die Republik Österreich hat der deutschen Gesetzgebung in Sachen Rückgabe von Kunst einiges voraus, wie der Fall Gurlitt in Bayern zeigt. Ein Gemälde von Egon Schiele gab den Anstoß.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Walburga Neuzil, geboren 1894, Tochter einer Taglöhnerin aus Niederösterreich, war vier Jahre ihres kurzen Lebens die Geliebte des Malers Egon Schiele. Dann heiratete Schiele (in bessere Kreise). Neuzil ging als Krankenpflegerin nach Dalmatien, wo sie 1917 starb. In Schieles Werk freilich lebte sie fort, vor allem im einfach „Wally“ genannten Porträt, gemalt 1912, und wann immer in Österreich das Thema Restitution behandelt wird, kommt auch wieder die Rede auf den Fall „Wally“ aus dem Jahre 1998. Seitdem haben diese Dinge, so viel kann man vorwegnehmen, eine Wendung ins Bessere genommen, die in der Bundesrepublik noch aussteht.

 

Nach der umfassenden Ausstellung „Egon Schiele: The Leopold Collection, Vienna“ im Museum of Modern Art in New York stellte die amerikanische Staatsanwaltschaft 1998 das Bildnis „Wally“ (und ein weiteres Exponat) sicher. Erben hatten sich auf den „National Stolen Property Act“ berufen, der die Einfuhr von Diebesgut in die USA verbietet. War „Wally“ also gestohlen? Rudolf Leopold behauptete das Gegenteil. Leopold (Jahrgang 1925), Augenarzt, Kunstsammler und Herausgeber der ersten Schiele-Monografie in Österreich, hatte Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre seine einzigartige Schiele-Sammlung in der halben Welt gezeigt und schließlich mit Hilfe der Republik Österreich eine Privatsammlung gegründet, die im Wiener Museumsquartier von 2001 an zentral und dauernd ausgestellt wurde. Als der „Wally“-Fall bekannt wurde, liefen gerade die Gespräche über die Modalitäten (unter anderem wurde Leopold zum Direktor auf Lebenszeit eingesetzt).

Die Historie des Bildes ist ein Lehrstück

Das war reichlich unpassend. Zudem hatte Österreich wegen der damals virulenten Waldheim-Affäre eh einen ramponierten Ruf. Leopold jedenfalls behauptete, er habe das Bild von der Galerie Belvedere in einem Tauschgeschäft erworben. Dass der Galerie ein Rückgabeersuchen der Inhaberin einer anderen Galerie vorgelegen hatte (Lea Bondi-Jaray, vormals Chefin der arisierten Galerie Würthle), wusste er angeblich nicht. Wie aber auch immer: der Rechtsstreit, den die USA wiederum nicht lenken wollte, zog sich bis zum Sommer 2010 hin. Am Ende starb Rudolf Leopold darüber. Die Erben von Lea Bondi-Jaray erhielten knapp 15 Millionen Euro. Fortan hing „Wally“ wieder in Wien – und im Museumsquartier. Ausführlich wird dort in einer Legende dokumentiert, welche Historie das Bild hat. Ein Lehrstück? Ein Lehrstück!

Jedenfalls für die Republik Österreich. Die damalige Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, eine durchsetzungsstarke, aber auch rasant unbeliebte ÖVP-Politikerin, setzte im Herbst 1998 eine Provenienzforschungsstelle ein, die klären sollte, wie und vor allem wann unrechtmäßig Werke in die Bestände der Bundesbehörden geraten waren. Pikanterweise blieb die Sammlung Leopold, weil im Grundstock privat, von den Nachforschungen verschont. Ohnehin jedoch gab es genug zu tun, denn nachdem ein entsprechendes Gesetz für österreichische Verhältnisse in fast schon absurder Geschwindigkeit im Nationalrat verabschiedet worden war, galt es Bücher, Gemälde, Skulpturen, ja, sogar Knopfsammlungen zu restituieren: 50 000 Rückgaben insgesamt.

Auf dem Kunstmarkt kämpft man mit harten Bandagen

Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ hat in diesem Zusammenhang angemerkt, dass Österreich in diesem Fall einen Weg eingeschlagen habe, den man als typisch deutsch bezeichnet: über fünfzig Jahre nach Kriegsende, aber immerhin, war es für Wien eben nicht damit getan, lediglich die Washingtoner Erklärung zu unterschreiben. Stattdessen kümmerte man sich um all jene, die widerrechtlich ihr Hab und Gut verloren hatten. Bürokratische Hindernisse wurden, soweit das juristisch machbar war, aus dem Weg geräumt. Über die staatseigenen Institutionen hinaus freilich konnten die Behörden nicht tätig werden. In Härtefällen – denen Gurlitts in München teils vergleichbar – schalteten sich Ministerien ein, um zu vermitteln und zum Beispiel bei der Gründung einer Stiftung behilflich zu sein.

Wie schwer durchschaubar diese Restitutions-Verhältnisse mitunter sind (und wie eindeutig oft aber auch), illustriert ein Buch, das der australische Kunsthistoriker Tim Bonyhady geschrieben hat: „Wohllebengasse. Die Geschichte meiner Familie“ (Zsolnay Verlag). Bonyhady erzählt die Geschichte seiner Mutter Anne Gallia, die in einem eleganten Wohnhaus in der Nähe des Wiener Belvedere aufwuchs. Im November 1938 emigrierte die Familie gerade noch über die Schweiz nach Australien. Hermine Gallia, Frau Regierungsrat und Annes Großmutter, wurde von Gustav Klimt gemalt. Die Tochter Gretl verkaufte das Bild 1971 in London an die National Gallery. Als wenig später, hellhörig geworden, der oben erwähnte Rudolf Leopold in Australien vorspricht, gibt er sich gegenüber anderen Mitbietern um weniger wichtige Exponate sogar als Freund der Familie aus. Auf dem Kunstmarkt wird mit härtesten Bandagen gekämpft. „Leopold“, sagt Tim Bonyhady, „hatte eine gute Nase für Kunst, aber wenig moralisches Empfinden.“