Bezahlbares Wohnen Sindelfinger Modell gegen Wohnungsnot

Es wird in Sindelfingen bereits an vielen Ecken gebaut – wie hier am Marktplatz, Ecke Böblinger Straße. Foto: Eibner-Pressefoto/Sandy Dinkelacker

Die Stadt will und muss wachsen, da ist sich die Verwaltungsspitze einig. Aber wie viel und wohin? Es gibt konkrete Pläne: Die Stadt will sich etwa einen Manager für Innenentwicklung leisten und setzt auf ein neues Großprojekt südlich von Maichingen für mehrere Tausend Bürger.

Die Stadt Sindelfingen kann ihren Bedarf an Wohnraum nicht decken. Stand jetzt fehlen bis zum Jahr 2030 rund 870 Wohnungen. Durch „allgemeine Bautätigkeit“ kann diese Lücke nicht geschlossen werden. Das haben kürzlich der Oberbürgermeister Bernd Vöhringer, Baubürgermeisterin Corinna Clemens und Stadtentwicklungsamtsleiter Michael Paak eröffnet.

 

Insgesamt hatte eine Studie, die die Verwaltung beim Hamburger Institut Gewos in Auftrag gegeben hatte, bis Ende des Jahrzehnts einen Wohnraumbedarf von zwischen 1660 und 2740 Wohnungen ergeben. Die Verwaltung geht von einem Mittelwert von 2240 Wohnungen aus. Zwei Drittel davon können über Innenentwicklung erreicht werden, ist sich die Verwaltung einig. Für den Rest müsse man kreativ werden. Diese Kreativität soll in konkreten Ideen münden – alles im Rahmen des sogenannten Handlungsprogramms Wohnen, das erstmals im Jahr 2017 mit Blick auf das Jahr 2025 beschlossen wurde. Dabei könnten auch sehr große Areale im Außenbereich bebaut werden für mehrere Tausend neue Sindelfinger.

„Wie schnell soll Sindelfingen wachsen?“

„Die spannende Frage, die dabei durchscheint, ist: Wie schnell soll Sindelfingen wachsen?“, so Vöhringer. Es gehe nicht darum, möglichst schnell die 70 000 Einwohner zu erreichen – Sindelfingen hat heute etwas mehr als 64 000 Einwohner. Vielmehr sei es so, dass wegen Zuwanderung durch Kriege und Fachkräftezuzug mit einer Einwohnerzunahme von 4,4 Prozent gerechnet wird. Bis 2030 soll es 3,8 Prozent mehr Haushalte geben.

Besonders Sozialwohnungen sollen gebaut werden

Einen besonderen Stellenwert hätten die Einpersonenhaushalte, obwohl bei diesen der geringste Zuwachs erwartet wird. Sie seien aber darum wichtig, weil sie die Nachfrage nach kleinen Wohnungen, Pendler- und Mikroapartments erhöhen. 36 Prozent aller Haushalte sind Einpersonenhaushalte, sagt Matthias Rothenacker vom Amt für Stadtentwicklung und Geoinformation. Es brauche auch mehr barrierefreie Wohnungen.

Besonders wichtig ist der Verwaltung allerdings das Thema Sozialwohnungen. Die Bedarfsprognose habe aufgedeckt, dass für das Jahr 2017 ganze 520 Sozialwohnungen gefehlt haben – die meisten davon für Einpersonenhaushalte. Die Verwaltung schlägt darum vor, ein neues Modell zur Schaffung von günstigem Wohnraum einzuführen.

Innenentwicklung intensivieren

Aber nur, wo gebaut wird, gibt es ein Wohnraumangebot. Um den Bestand von gebundenen Sozialwohnungen halten zu können, braucht es laut Verwaltung 120 bis 125 Wohnungen. Durch aktuelle Projekte, die gerade zum Beispiel durch die Wohnstätten umgesetzt würden oder in Planung seien, stehe die Stadt aber mit 116 Wohnungen gar nicht schlecht da. Langfristig allerdings werde man damit nicht mehr auskommen.

Ein Rädchen zum Gegensteuern ist bei Wohnungsnot die Innenentwicklung, die intensiviert werden müsse. Potenzial sieht man beispielsweise im Eschenriedareal, im Postareal und in der Seeuferpromenade auf dem Flugfeld. Dort könnten etwa 400 Wohnungen entstehen. Neben den bekannten geplanten Quartieren – teils mit privaten Investoren – wie dem Goldbach-Areal mit rund 720 Wohnungen und dem Krankenhaus-Areal mit 900 Wohnungen weisen laut Verwaltung auch die Pfarrwiesenallee und der Allmendweg große Potenziale auf.

Auch nach außen wachsen

Da aber nur ein Teil dieser Projekte bis 2030 umgesetzt werden kann, will die Stadt ein Baulandkataster veröffentlichen, auf Besitzer von Brachen zugehen, in Gewerbegebieten Wohnbau zulassen oder Aufstockungen, Erweiterungen und Gauben an bestehenden Häusern erlauben. Um das alles zu koordinieren, soll für fünf Jahre ein – nicht ganz günstiger – Innenentwicklungsmanager eingestellt werden. Rund 76 000 Euro stehen dafür jährlich auf der Ausgabenseite.

Allmendäcker III ausgeschlossen

Doch, wie erwähnt, soll auch die Außenentwicklung vorangetrieben werden. „Wir denken dabei über das Jahr 2030 hinaus“, sagt Clemens. Man müsse jetzt mit den Planungen beginnen, „damit unsere Nachfolger einmal beschließen können, die Gebiete zu entwickeln“. So denkt die Verwaltungsspitze darüber nach, ein Wohngebiet südlich von Maichingen auszuweisen. Das rund 30 Hektar große Gebiet, das im Flächennutzungsplan für Wohnbau vorgesehen ist, ist eine der letzten Möglichkeiten, wie Sindelfingen noch nach außen wachsen kann. Rund 1200 Wohneinheiten könnten dort entstehen, wo heute Ackerland ist. Grundlagenermittlung und Gutachten könnten im Jahr 2024 vorliegen und 80 000 Euro kosten.

Apropos Ackerland: Ein Wohngebiet Allmendäcker III soll es nicht geben, verspricht Clemens. „Allmendäcker I und II sind sehr gut eingebettet in die Landschaft“, so Clemens. „Das ist ein ganz hoher Wert, den würde man pulverisieren.“ Man sei froh, dass es dort aktive Landwirte gebe, die unter anderem Heilpflanzen anbauten.

Das Sindelfinger Modell setzt auch auf Sozialwohnungen

Das Modell
 Das Sindelfinger Modell zur Schaffung von günstigem Wohnraum sieht vor, dass bei Bauprojekten eine Quote von mindestens 20 Prozent für Sozialmietwohnungen oder günstige Eigentumswohnungen eingehalten wird. Sie greift ab einer Geschossfläche von 800 Quadratmetern, nicht jedoch bei Einzel-, Doppel- oder Reihenhäusern. Die Bindung beträgt mindestens 15 Jahre.

Erste Lesung
 Zum ersten Mal hörten die Stadträte des Technik- und Umweltausschusses im Dezember 2019 vom Sindelfinger Modell.

Vertagt
 Im März 2021 wurde das Thema im gleichen Ausschuss erneut beraten, aber vertagt. Auch in mehreren Gemeinderatsklausuren wurde es seitdem diskutiert – zuletzt im Juli vergangenen Jahres.

Auf ein Neues
 Jetzt wurde das Sindelfinger Modell erneut dem Gemeinderat zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt. 

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