Zum zehnjährigen Bestehen der BIL-Schule in Stuttgart hat OB Fritz Kuhn (Grüne) ein Plädoyer für kulturelle Vielfalt gehalten. Für Schulgründer Muammer Akin hat Bildung Priorität.

Stuttgart - Es kommt sicher selten vor, dass sich der Oberbürgermeister einer Großstadt fast zwei Stunden Zeit nimmt, um dem zehnjährigen Jubiläum einer Privatschule beizuwohnen und eine programmatische Rede zu halten. Doch die BIL-Schule auf dem Hallschlag hat offensichtlich eine Sonderrolle, und der OB Fritz Kuhn (Grüne) wollte ein Zeichen setzen. Zu den Besonderheiten der Schule gehört unter anderem ihr hoher Migrantenanteil von 90 Prozent – die größte Gruppe machen die türkischstämmigen Schüler aus.

 

OB Fritz Kuhn mag den Begriff Migrationshintergrund nicht

„Ich mag den Begriff Migrationshintergrund nicht“, sagte Kuhn, „ihr seid Menschen, deren Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land kommen – ihr seid Stuttgarter.“ Das trug dem OB spontanen Applaus ein. Zur Förderung der kulturellen Vielfalt gehöre es eben nicht, dass die, die dazukämen, sich an die anpassen müssten, die schon da seien. Sondern dies müsse ein gegenseitiger Prozess sein. Schule sei ein sozialer Lernort und brauche Freiräume, müsse aber auch Verlässlichkeit in jeder Hinsicht bieten und Teamfähigkeit, Pünktlichkeit, Rücksichtnahme vermitteln und auch eine gewisse formale Strenge. Es sei „nicht selbstverständlich“, so Kuhn, dass ein Hausaufgabenunterstützungsverein zur Gründung einer Schule führe, die zudem in einem Gebäude untergebracht sei, das zur Aufwertung des Stadtteils beitrage.

„Bildung darf nichts mit Herkunft zu tun haben“

Ähnlich formulierte es Franz Schneider, der als Vertreter des Regierungspräsidiums die Gründung der Schule von Anfang an begleitet hatte – inklusive ihrer staatlichen Anerkennung. Diese sei, so Schneider, „ein hohes Gut“, da somit auch Privatschulen im staatlichen Auftrag Prüfungen abnehmen dürfen. Er habe sich aber, so Schneider, zweimal bei mündlichen Abiturprüfungen selber ein Bild vom Kenntnisstand der BIL-Schüler gemacht. „Die BIL-Schulen haben in Stuttgart ihren festen Platz“, so Schneider weiter – „Bildung darf überhaupt nichts mit der Herkunft zu tun haben“, erklärte der Mann aus dem RP. Und dass die BIL-Schule in den Medien „Türkengymnasium“ genannt worden sei – „das tut weh“. Es sei „eine Stuttgarter Schule, und damit basta“.

Besondere Verdienste habe sich dabei Manfred Ehringer erworben – „der Spiritus Rector dieser Einrichtung und ein Pädagoge aus echtem Schrot und Korn“, lobte Schneider den mittlerweile 82-jährigen ehemaligen Schulamtsleiter. Dieser ist nicht nur bestens vernetzt, sondern hat die pädagogische Konzeption der BIL-Schulen maßgeblich mitgestaltet und dafür gesorgt, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden bestens flutschte – und alles ehrenamtlich. Auch der frühere Geschäftsführer der BIL-Schule Muammer Akin habe „mit Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit integrativ gewirkt“, so Schneider.

Für Schulgründer Muammer Akin hat Bildung Priorität

Akin selbst hingegen, der sich, im Hallschlag aufgewachsen, über die Hauptschule nach oben gekämpft hat, sieht in der BIL-Schule „nicht an erster Stelle eine Integrations-, sondern eine Bildungseinrichtung, die von Stuttgartern gegründet wurde“. Der Grund sei, dass sich vor allem türkischstämmige Kinder beim Übertritt in eine Realschule oder ein Gymnasium schwer getan hätten, weil ihre Eltern sie nicht so gut unterstützen könnten.

Doch auch nach ihrer Gründung müsse die BIL-Schule, die „durch die politische und mediale Diskussion nicht gerade unbekannt“ sei, an vielen Baustellen arbeiten, sagte Akin. So gerieten die BIL-Schule sowie weitere überwiegend von muslimischen Schülern besuchten Privatschulen in Deutschland bundesweit in die Schlagzeilen, weil man bei ihnen eine Nähe zur Gülen-Bewegung vermutet.

Der Prediger Fethullah Gülen macht sich für mehr Bildung stark, aber auch für einen Staat, der nach den Werten des Islams ausgerichtet ist. Der Verfassungsschutz erklärte aber jüngst, die Gülen-Bewegung gehöre nicht zu seinen Beobachtungsobjekten. Allerdings habe man festgestellt, dass die von Gülen oder Einrichtungen der Gülen-Bewegung publizierten Schriften zum Teil im Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung stünden, etwa dem Gleichberechtigungsgebot, der Religionsfreiheit, der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und der Freiheit der Lehre.

Die Ideen des Predigers Gülen kommen bei manchen gut an

Der StZ sagte Akin: „Die Schule hat mit der Gülen-Bewegung nichts zu tun – aber das schließt nicht aus, dass Personen aus der Schule und dem Trägerverein sich damit identifizieren.“ Er selbst, so Akin, befürworte Gülens Idee, in Bildung zu investieren. Den BIL-Schulen liege der baden-württembergische Bildungsplan zugrunde.

Die Kombination von Realschule, G8 und Wirtschaftsgymnasium als Anschlussmöglichkeit für die Realschulabsolventen habe sich schon bewährt, so Akin. Auch über die Gründung eines Technischen Gymnasiums denke man nach. Seit diesem Schuljahr können die Familien ihre Kinder bereits in der Grundschule einschulen – das Besondere daran sei, dass dort der Fokus auf Deutsch als Zweitsprache gelegt werde und dass, im Vorgriff auf den neuen Bildungsplan, Musik und Kunst als eigenständige Lernbereiche ausgewiesen seien, sagte Ulrike Brittinger vom Staatlichen Schulamt auf Anfrage. Auf der Homepage der BIL-Schulen sucht man vergebens nach Details, und der Bildungs- und Schulverein Baden-Württemberg als Schulträger verzichtet ganz auf einen Internetauftritt.

Akin hat die Rolle als Geschäftsführer der BIL-Schulen aufgegeben und will sich um die Grundschulentwicklung und weitere Projekte kümmern, Vereine beraten und die Vernetzung mit ähnlich arbeitenden Privatschulen vorantreiben, darunter die Sindelfinger Prisma-Schule. Diese Schule war in die Schlagzeilen geraten, weil die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) einen Besuch dort mit dem Hinweis abgelehnt hatte, dass diese als der Gülen-Bewegung nah gelte.