Im grün-roten „Musterland für gute Arbeit“ hat Ministerpräsident Kretschmann bei den Gewerkschaften leichtes Spiel. Nur bei der Bildungspolitik ziehen diese nicht mit der Koalition an einem Strang.

Im grün-roten „Musterland für gute Arbeit“ hat Ministerpräsident Kretschmann bei den Gewerkschaften leichtes Spiel. Nur bei der Bildungspolitik ziehen diese nicht mit der Koalition an einem Strang.

 

Ludwigsburg - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) fordert in der Bildungspolitik eine Qualitäts- statt einer Quantitätsdiskussion. Bei einer um 20 Prozent rückläufigen Schülerzahl zwischen 2005 und 2020 werde die Lehrerschaft nur um 10 Prozent schrumpfen, sagte er mit Blick auf den von Grün-Rot geplanten Abbau von Lehrerstellen. „Da kann man schwerlich von Sparen sprechen.“ Immerhin habe der Südwesten das beste Verhältnis von Schülern zu Lehrern, sagte der Regierungschef am Samstag bei der DGB-Bezirkskonferenz in Ludwigsburg. Die Gewerkschaften kritisieren aber, der Bildungssektor sei nicht ausreichend finanziert.

Kretschmann räumte ein, die Bildungspolitik sei eine Baustelle der Landesregierung, denn zwei von drei befragten Baden-Württembergern zeigten sich mit ihr unzufrieden. Dabei sei die Gemeinschaftsschule gut angelaufen und erfreue sich an ihren Standorten großer Beliebtheit. Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer habe die frühkindliche Bildung verbessert; die beruflichen Schulen hätten ihr chronisches Unterrichtsdefizit halbiert. Bildung habe auf dem Weg zur Nullverschuldung 2020 Priorität, aber auch der Sanierungsstau in Krankenhäusern, Hochschulen und bei Straßen müsse abgebaut werden.

Die Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro Moritz, wertete es zwar als positiv, dass Kretschmann nicht ausdrücklich vom vorgesehenen Abbau von 11 600 Lehrerstellen gesprochen habe. Das aktuelle Lehrer-Schüler-Verhältnis sage aber nicht viel aus, da Grün-Rot etliche Reformen wie die Eingliederung behinderter Schüler und den Ausbau der Ganztagsschule plane, für die sehr viele Lehrer bereitgestellt werden müssten. „An der Stelle werden wir weiterbohren“, versicherte Moritz.

Kretschmann kündigte Eckpunkte des Finanzministeriums für die sogenannte Bildungsfreistellung für Arbeitnehmer bis zum Frühjahr an. Er erntete aber Missfallen der 100 Delegierten für seinen Hinweis, dass die geforderten fünf bezahlten Bildungstage die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht beeinträchtigten dürften. Die Arbeitgeber im Land laufen gegen das Vorhaben Sturm. Nach Überzeugung des Regierungschefs verbindet die Koalition und die Gewerkschaften das Ziel, Wohlstand und Fortschritt zu kreieren, ohne Natur zu zerstören und Menschen auszubeuten.

Der in seinem Amt mit 95 (2010: rund 84) Prozent der Stimmen bestätigte DGB-Landeschef Nikolaus Landgraf gab den Startschuss für die Kampagne „Gib mir 5“: „Wir fordern fünf bezahlte Tage Zeit für politische, allgemeine und berufliche Bildung im Jahr.“ Die Androhung der Arbeitgeber, in diesem Fall auszuwandern, sei nicht glaubhaft, sagte Landgraf. Denn alle Bundesländer bis auf Baden-Württemberg, Sachsen und Bayern böten gesetzliche Freistellungsmöglichkeiten an. Zu seiner Stellvertreterin wurde die ehemalige Landesfrauensekretärin von Verdi, Gabriele Frenzer-Wolf, gewählt.

Der DGB beschloss auch einen Initiativantrag der GEW für mehr Akzeptanz sexueller Vielfalt in der Schule. Die Gewerkschafter sprachen sich gegen Diskriminierung von nicht-heterosexuellen Menschen aus sowie gegen die Online-Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“. Der Antrag sollte als Grußwort bei einer Demonstration für die Verankerung des Themas in den neuen Bildungsplänen am Samstagnachmittag in Stuttgart verlesen werden.

Die acht Gewerkschaften des DGB im Südwesten verzeichneten im Jahr 2013 im zweiten Jahr in Folge einen Mitgliederzuwachs. Sie zählten Ende vergangenen Jahres 821 757 Mitglieder, wozu vor allem Neueintritte junger Menschen beitrugen.