Eine afrikanische Singvogelart – der Trauerdrongo – betrügt andere Tiere mit raffinierten Methoden: Falsche Alarmrufe dienen dazu, Erdmännchen und anderen Opfern die Beute abzujagen.

Stuttgart - Auf den Alarmruf des Rotschulter-Glanzstars reagiert das Erdmännchen in der kargen Wüste im Südwesten Afrikas sofort. Schließlich warnt der quietschende Schrei vor dem Anflug eines gefährlichen Greifvogels, gegen den das kleine Raubtier kaum eine Chance hat. Also lässt es den gerade entdeckten, fetten Leckerbissen im Stich und flitzt in seinen sicheren Bau. Als es ein paar Minuten später wieder aus dem Erdloch späht, ist der Greifvogel verschwunden. Doch leider ist auch das leckere Ei weg, an dem sich das Erdmännchen gerade gütlich tun wollte.

 

Die Beute hat sich nämlich ein hinterlistiger Dieb geschnappt: Ein Trauerdrongo aus der großen Verwandtschaft der Sperlinge hat den Warnruf gefälscht, das kleine Raubtier ist auf diesen Trick hereingefallen, und der schwarze Vogel von der Größe einer Amsel hat sich so eine billige Mahlzeit ergattert. Das Ganze war obendrein kein Gelegenheitsdiebstahl. Tom Flower von der Universität im südafrikanischen Kapstadt und seine Kollegen haben bei ihren Forschungsarbeiten eher einen Serientäter überführt, der fast ein Viertel seines Lebensunterhaltes mit solchen Trickdiebstählen verdient. Veröffentlicht wurden diese Beobachtungen jetzt in der Fachzeitschrift „Science“.

Professionelle Trickdiebe in der Wüste

Den professionellen Dieben kamen die Forscher auf die Spur, als sie 64 Trauerdrongos insgesamt 847,5 Stunden lang beobachteten. In den Savannen des südlichen Afrika folgen diese Singvögel gern Nashörnern, Elefanten und Giraffen. Dabei werden die von den großen Tieren aufgescheuchten Insekten leichte Beute der schwarzen Drongo-Schnäbel. Manchmal jagt die von den Biologen Dicrurus adsimilis genannte Art auch kleine Fische, die an der Oberfläche von Gewässern schwimmen. Tom Flower und seine Kollegen konzentrierten sich allerdings auf Trauerdrongos in der kargen Kalahari-Wüste, die sich vom Nordwesten Südafrikas über Namibia und Botswana bis nach Angola und Sambia erstreckt. Dort scheinen sich die Singvögel zu professionellen Trickdieben gemausert zu haben.

Bei ihren Beobachtungen notierten die Wissenschaftler jedenfalls 688 Fälle von versuchtem Diebstahl, die meist nach einem ähnlichen Schema ablaufen. Während die Trauerdrongos in der Savanne häufig großen Tieren folgen, begleiteten sie in der Wüste während eines Viertels der Beobachtungszeit kleinere Arten. Das sind häufig die nur gut 700 Gramm wiegenden Erdmännchen, die meist Insekten jagen, oder zum Beispiel Elsterndrosslinge, die etwas kleiner als die Trauerdrongos sind. Die vierbeinigen Kleinraubtiere und die weiß-schwarzen Vögel profitieren zunächst einmal von ihren Verfolgern. Sobald diese nämlich einen anfliegenden Greifvogel erspähen, stoßen die Drongos den Alarmruf ihrer eigenen Art aus. Andere Drongos, Erdmännchen und die Elsterndrosslinge erkennen dieses Signal sofort und verschwinden vor der drohenden Gefahr. Rasch ergibt sich eine Art Arbeitsteilung: Weil die Drongos die Wache übernehmen, müssen Erdmännchen und Drosslinge weniger aufpassen und haben so mehr Zeit für die Futtersuche.

Jeder Dienst hat seinen Preis – auch der Alarmruf

Genau wie in der Dienstleistungsgesellschaft der Menschen aber scheint auch in der Natur alles seinen Preis zu haben. Und den fordern die Trauerdrongos, wenn die Erdmännchen oder die Elsterndrosslinge viel Futter finden. Dann stoßen die Verfolger ihren Alarmruf auch dann aus, wenn gar kein Greifvogel in Sicht ist. Auf diesen Trick fallen die Verfolgten prompt herein, fliehen und überlassen so den Drongos ihre Beute. Insgesamt 23 Prozent ihrer Nahrung ergattern die Trickdiebe im schwarzen Federkleid auf diese Weise, beobachten Tom Flower und seine Kollegen in der Kalahari-Wüste.

An dieser Stelle fragten sich die Forscher, ob die Opfer den Gaunern wirklich immer auf den Leim gehen. Nehmen solche Diebstähle überhand, reagieren Erdmännchen und Elsterndrosslinge nämlich ähnlich wie Menschen, die von der Alarmanlage eines Autos aufgeschreckt werden: Natürlich schaut man erst einmal nach dem Rechten. Oft steckt aber gar kein Autoaufbrecher dahinter, sondern nur ein technischer Fehler. Passiert ein solcher Fehlalarm öfter, beginnt man ihn irgendwann zu ignorieren, zumindest wenn ein fremdes Auto betroffen ist. Genau das tun auch die Tiere. Als die Forscher ihnen die Alarmrufe der Trauerdrongos wiederholt vorspielten, reagierten sie oft schon beim dritten Versuch nicht mehr und blieben lieber bei dem Leckerbissen, mit dem sie geködert worden waren.

Die Warnrufe vieler Tierarten werden nachgeahmt

Die Trickdiebe aber geben sich nicht so leicht geschlagen und greifen zu einer neuen Strategie. So beherrschen die Drongos nicht nur den Warnruf ihrer Art, sondern können auch den Alarm anderer Arten nachahmen. Auch als Imitatoren sind diese Vögel Spitzenklasse, insgesamt fanden die Forscher bei ihnen Plagiate von 45 anderen Arten. Ein Drongo beherrscht zwischen neun und 32 unterschiedliche Alarmrufe – und setzt sie auch meisterhaft ein.

Das fanden Tom Flower und seine Kollegen heraus, als sie die eigenen und fremde Warnrufe der Drongos aufnahmen und Elsterndrosslingen vorspielten. Prompt reagierten diese wieder vorsichtiger. Dabei war es sogar egal, ob die Trickdiebe den Warnruf ihres Opfers oder den Alarm eines Glanzstars imitierten, der im Süden Afrikas häufig vorkommt und dessen Alarm etliche andere Arten warnt. Mit ihren Nachahmungen kommen die Trickdiebe also wieder zum Erfolg. Und wenn die Forscher ihre Tonaufnahmen auswerten, finden sie in 42 Prozent aller Fälle solche Imitate. In weiteren 27 Prozent kombinierten die Trauerdrongos einen nachgeahmten Ruf mit dem eigenen Alarm.

Die Opfer wehren sich

Allerdings gewöhnen sich Elsterndrosseln mit der Zeit auch an die Imitationen. Spielen die Forscher ihnen dreimal hintereinander den gleichen Alarm vor, lassen sich die Tiere nicht mehr foppen und bleiben bei ihrer Beute. Aber auch darauf stellen sich die Trickdiebe ein. Versuchen die Drongos mehrmals hintereinander das Futter ihrer Opfer zu erbeuten, ändern sie in rund drei Viertel aller Fälle ihren Alarmruf. Ein solcher Wechsel folgt besonders häufig einem fehlgeschlagenen Diebstahlsversuch. Mit dieser Strategie aber sind die Trickdiebe den Erdmännchen und den Elsterndrosslingen wieder einen Schritt voraus. Spielen die Forscher ihnen nämlich zweimal den gleichen und danach einen anderen Warnruf der Drongos vor, eilen die potenziellen Opfer jedes Mal in Sicherheit und riskieren ihre Beute. Man kann also den Dieben das Leben schwer machen, ganz verhindern aber kann man den Mundraub nicht.

Wie Vögel täuschen

Schauspieler
Kolkraben täuschen ebenfalls manchmal ihre Artgenossen, beobachtet Thomas Bugnyar von der Universität Wien. Die großen schwarzen Vögel wissen schließlich genau, wo sie am einfachsten Futter finden: Fliegt ein anderer Kolkrabe zielstrebig einen bestimmten Ort an, hat er dort vielleicht etwas Fressbares entdeckt oder versteckt. Merkt ein Kolkrabe, dass er verfolgt wird, bricht er seinen Flug oft ab und täuscht so den plünderwilligen Artgenossen. Ist der Plünderer dagegen erfolgreich und wird auf frischer Tat ertappt, spielt er häufig einen Unschuldsengel. Obwohl er sich eigentlich gerade des Mundraubs schuldig gemacht hat, beginnt er dann zum Beispiel mit Unschuldsmiene mit einem Tannenzapfen zu spielen oder krächzt ein Liedchen. Vielleicht fliegt er auch hinter einen Baum und versteckt sich. Kurzum: er versucht ein Täuschungsmanöver.

Zufall
Systematische Untersuchungen im Freiland wie jetzt die Forscher in Südafrika konnte Bugnyar dazu bisher aus einem einfachen Grund nicht machen: „Solche Täuschungen funktionieren ja nur, wenn sie selten sind. Genau deshalb lassen sie sich auch kaum studieren“, erklärt der Kognitionsbiologe. Bei den Kolkraben hat der Forscher daher bisher nur zufällige Beobachtungen machen können.

Fehlalarm
Ähnliche Täuschungen haben andere Forscher bereits in den 1980er und 1990er Jahren bei den Kohlmeisen Europas und bei Gelbstirn-Würgertangaren sowie den Blaugrauen Würgerlingen im Amazonas-Regenwald beobachtet. Auch in diesen Fällen lockten die Vögel ihre Opfer mit falschen Alarmrufen vom Futter weg, um danach selbst darüber herzufallen. Die erste systematische Untersuchung dazu aber lieferten jetzt Tom Flower und seine Kollegen beim Beobachten der Serien-Trickdiebstähle der Trauerdrongos. Und ernten damit Begeisterung bei ihren Kollegen: „Das ist eine ganz tolle Arbeit“, meint Thomas Bugnyar.