Brian Wilson ist das musikalische Genie der Beach Boys – aber eines mit psychischen Problemen. Dieser eindrucksvolle Spielfilm, der sowohl Verklärung wie Skandalwühlerei vermeidet, zeigt ihn als Vogel in Gefangenschaft.

Stuttgart - Als Cadillac-Verkäuferin lernt man die Menschheit auch nicht unbedingt von ihrer besten Seite kennen. Kaufkraft und Charakterverfeinerung gehen ja nicht immer Hand in Hand. Als ein Kaufinteressierter erst mit ihr zusammen in einem Wagen Probe sitzen und dann gar  nicht wieder aussteigen und fort von ihr mag, wundert sich Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) also gar nicht erst. Sie findet das, gemessen an sonstigen Käuferspleens, wohl eher rührend und kindlich charmant.

 

Der offensichtlich mehrfach Interessierte ist aber auch alles andere als ein kalkulierender Anmacher. Er ist eine wandelnde Poplegende und ein klatschspaltennotorisches Psychowrack, Brian Wilson von den Beach Boys, einst der Mozart der Surfmusik und nun die tablettenbetäubte Dauergeisel eines zwielichtigen Therapeuten. „Help me , Rhonda“ hieß in den Sechzigern einer seiner Hits. Nun, Mitte der Achtziger, scheint er jenseits aller Hilfe. Probesitzen im Cadillac wird ihm zum Erlebnis menschlicher Nähe.

Brians einsame Kämpferin

In William Pohlads erstaunlichem Spielfilm wird sich aus der Zufallsbegegnung im Autohaus aber doch die allmähliche Errettung eines mehrfach Weggesperrten ergeben. Denn Wilson ist nicht nur ein Spielball seiner eigenen Ängste und Wunderlichkeiten, er wird von seinem Vormund und Betreuer Doktor Eugene Landy (Paul Giamatti) konsequent vor äußeren Einflüssen abgeschirmt.

Dass Eugene Landy, der schließlich seine Lizenz und seine Vormundschaft über Wilson verlor, ein skrupelloser Profiteur war, ist längst Konsens unter den Biografen der Beach Boys und den Fans der Gruppe. Ob Melinda Ledbetter, die Wilsons Frau und Managerin wurde, tatsächlich die einsame Kämpferin für einen von allen Aufgegebenen war, als die der Film sie zeigt, ist nicht ganz so unumstritten. Aber auch wenn das Drehbuch von Oren Moverman („The Messenger“) und Michael Alan Lerner das so erzählt, wird „Love & Mercy“ kein naives Märchen.

Denn hier bekommen wir in Rückblenden eine Menge von dem zu sehen, was all  jene Zyniker gerne ausbreiten, die in den Surfbubis den amerikanischen Traum schlechthin angreifen: von wegen, das Leben ist ein Traum aus Gischt und Sonne.

Vaters Ohrfeigen

Wir sehen eine Surfband, deren Mitglieder meist weder surfen können noch dazu kämen, weil sie im Schüleralter auf Tour gehetzt werden. Wir erleben, wie die Familienkapelle der drei Wilson-Brüder und ihres Cousins Mike Love von Brians Genie als Komponist und Arrangeur zur Dauerkonkurrenz mit den Beatles befähigt wird – und wie Vater Wilson sie ausbeutet, behindert und demütigt. Die Ohrfeigen des Vaters kosten Brian das halbe Gehör und das ganze Selbstbewusstsein.

Trotzdem wird das kein skandalisierender Film, sondern einer, der die realen Produktionsumstände musikalischer Fluchtfantasien ausleuchtet und die Schinderei zeigt, die sich zu zeitlosen Hymnen der Zärtlichkeit veredelt. Und er wird auch kein nostalgischer, obwohl er die offenen Horizonte einer anderen Ära aufblitzen lässt. Die Kamera von Robert Yeoman („Grand Budapest Hotel“) schafft es immer wieder, das Mythologische und das Ernüchternde in ein Bild zu bannen.

Mehr als „Good Vibrations“

Paul Dano, der den jungen Brian spielt, sieht dem Genie erstaunlich ähnlich, anders als John Cusack, der den älteren Wilson mimt. Aber beide spielen vollkommen überzeugend: Wilson wirkt bei ihnen wie ein Vogel, der sich in ein Menschenhaus verirrt hat und keinen Ausgang mehr findet. Den freien Himmel gibt ihm nur die Musik zurück, die von Kamera und Schnitt oft glänzend interpretiert wird: hier gibt es Horror und „Good Vibrations“ zuhauf.

Love & Mercy. USA 2014. Regie: William Pohlad. Mit John Cusack, Paul Dano, Elizabeth Banks, Paul Giamatti, Jake Abel, Kenny Wormald. 122 Minuten. Ab 6 Jahren.