Bei der Bischofssynode im Vatikan wird nicht nur über das moderne Familienleben gesprochen. Es wird auch geklärt, wie viel Autonomie die Kirche den einzelnen Gläubigen und den Bischöfen zugesteht.

Rom - Bei der Bischofssynode im Vatikan geht es nicht nur darum, wie sich die Lehre der Kirche zu Ehe und Familie mit der Lebenswirklichkeit der Menschen verträgt. Zur Debatte steht auch ein zweifaches Aus-der-Hand-Geben. Zum einen könnte die katholische Kirche die Deutungshoheit über die Form des jeweiligen Privatlebens ihren Mitgliedern selbst überlassen. Zum anderen: Die Regelung der seelsorgerlichen Folgen, die ja auch abhängig sind von den gesellschaftlichen Zusammenhängen in unterschiedlichen Kulturen, könnte aus dem Vatikan in die dezentrale Zuständigkeit regionaler Bischofskonferenzen wandern. Beides ist ausdrücklich der Wille von Papst Franziskus; er betrachtet es als Auftrag der Zeit.

 

Die Kirche hat derzeit – von oben herab – nur zwei Lebensformen als vollgültig definiert: zum einen den zölibatären Stand der Priester und der Ordensleute, zum anderen das in lebenslanger Ehe verbundene Paar als Basis der Normalfamilie. Alle anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens gelten als „irregulär“. Das heißt in vielen heutigen Konstellationen: als sündhaft.Einen Ausweg hat Papst Franziskus gewiesen – als die erste Form des Aus-der-Hand-Gebens. Er hat inmitten der Kirche den einzelnen Gläubigen das Recht auf Privatsphäre eröffnet. Berühmt geworden ist der eine Satz: „Wenn einer schwul ist und Gott sucht, wer bin ich, dass ich über ihn richte?“ Noch nicht berühmt, aber auf der Synode stark präsent ist der andere: „Alle Glieder der Kirche, Priester, Ordensleute und Laien, müssen stets lernen, sich vor dem heiligen Boden des anderen die Sandalen von den Füßen zu streifen.“

Die Gläubigen haben eigentlich ein Recht auf Privatsphäre

Eigentlich ist das Recht auf Privatsphäre den Gläubigen längst zugestanden. Es ist die Anerkennung, dass jeder Mensch als Schöpfung Gottes ein Gewissen hat, und es ist der Respekt vor dessen Entscheidungen. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt: „Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Inneren zu hören ist.“ Joseph Ratzinger kommentierte seinerzeit: „Über dem Papst als Ausdruck für den bindenden Anspruch der kirchlichen Autorität steht noch das eigene Gewissen, dem zuallererst zu gehorchen ist, notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität.“

Entscheidend ist nun aber, dass man dem Menschen ein solches verantwortungsvolles Gewissen tatsächlich zugesteht, und ihn nicht primär als Sünder und Gesetzesbrecher betrachtet. Franziskus hat diesen entscheidenden Perspektivwechsel vollzogen; er schaut den Menschen zunächst einmal wohlwollend an oder – in seinen Worten – mit den Augen der göttlichen Barmherzigkeit. Das ist keine süßliche Soße, die man unterschiedslos über alles kippt; das hat auch nichts mit dem Aufweichen der Lehre zu tun. Die Lehre bleibt unangetastet. Das Ideal auch. Aber die Menschen werden in der Wahl ihrer „gültigen“ Lebensformen nicht länger amtlich bevormundet. Und die Seelsorger haben die Pflicht, es nicht beim Verurteilen bewenden zu lassen, sondern genauer hinzuschauen: ob nicht eine Gewissensentscheidung dahintersteckt, über die in der Kirche keiner zu richten hat.

Manchem Bischof wird ob der Verantwortung mulmig

Was das zweite Aus-der-Hand-Geben betrifft: Die Bischöfe haben dem Papst für seinen Vorschlag einer „heilsamen Dezentralisierung“ der Kirche rauschenden Beifall gespendet. Doch mancher Bischof gibt zu, dass ihm bei dem Gedanken an die praktische Umsetzung mulmig wird. Nicht jeder hat die theologische Kompetenz und die Statur, den Streit und die persönlichen Verunglimpfungen durchzustehen, die ihm drohen, wenn er in Berufung auf sein eigenes Gewissen wiederverheiratete Geschiedene oder homosexuelle Paare anders behandelt, strenger oder nachsichtiger, als der amtsbrüderliche Nachbar. Es kann passieren, dass ein Bischof viele „problematische“ Katholiken rettet, aber selber darunter zerbricht. Da ist ein zentralistisches Wort aus Rom immer noch besser: als Schutzschild im Ernstfall.