Im Bissinger Feuerteich hat Gertrude Ederle vor rund 100 Jahren das Schwimmen gelernt – so gut, dass sie einige Jahre später als erste Frau der Welt den Ärmelkanal bezwang. Heute ist es ruhiger um den Badesee geworden.

Bissingen unter Teck - Familie Blesshuhn hat gerade Nachwuchs. Dass die beiden Eltern ihre Küken ungestört aufziehen können, liegt nicht nur am Wetter. Der Bissinger See, ihre Kinderstube, glänzt zwar auf jeder Gewässergütekarte mit Bestnoten, in touristischen Hochglanzprospekten sucht man ihn jedoch vergebens. Es hat allerdings schon Zeiten gegeben, da hat der kleine See weltweit Wellen geschlagen.

 

Heute verliert selbst der Internetauftritt des 3400 Einwohner zählenden Fleckens kein Sterbenswörtchen über das kleine Juwel mitten im Ort und auch im Rathaus der Biosphärengemeinde geht man gern mal auf Tauchstation, wenn die Frage auf die touristische Vermarktung des schmucken Badesees aufkommt. „Viele Leute kennen den See und schätzen ihn. Aus unserer Sicht gibt es keine Notwendigkeit, ihn exponiert herauszustellen“, sagt Marcel Musolf, der Bürgermeister. Vor allem Wanderer wüssten das ursprünglich als Feuersee angelegte Badegewässer mit dem Blick auf den Breitenstein und die Burg Teck zu schätzen. „Wer die Natur und die Landschaft liebt, der kennt den See. Mehr wollen wir eigentlich nicht, am wenigstens Autoschlangen im Ort“, sagt Musolf. Zwar lägen im Rathaus keine Zahlen vor, der Augenschein aber zeige, dass der See im Sommer einen unglaublichen Zulauf habe.

So ruhig wie jetzt war es nicht immer um den See

Immerhin, die Badegäste, so sie denn kommen, stoßen auf eine gut ausgebaute Infrastruktur. Um den gerade mal ein halbes Fußballfeld großen und bis zu 3,80 Meter tiefen See zieht sich ein gepflasterter Fußweg. Davon zweigen mit Handlauf versehene Einstiege ab. Am abgegrenzten Kinderbereich führen breite Stufen ins Wasser. Mehrere rund um den See angeordnete Sitzbänke laden zum Verweilen ein. Es gibt eine Liegewiese, zudem hat die Gemeinde eine öffentliche Toilette gebaut und einen Kinderspielplatz angelegt.

Dabei ist es beileibe nicht immer so ruhig gewesen rund um den Bissinger See. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war das kleine Gewässer am Fuß der Schwäbischen Alb weltweit in die Schlagzeilen geraten. Schuld daran war Gertrude „Trudy“ Ederle, eine junge Amerikanerin mit Bissinger Wurzeln.

Gertrude Egerle durchschwamm als erste Frau den Ärmelkanal

Ihr Vater Heinrich war, 16-jährig, als Metzgergeselle aufgebrochen, um sein Glück in der Neuen Welt zu versuchen. Am 23. Oktober 1905 wurde seine Tochter Gertrude in New York geboren. Gut 20 Jahre später, am 6. August 1926, durchschwamm sie als erste Frau der Welt den Ärmelkanal von Frankreich nach England. Für die Strecke von Cap Gris-Nez nach Dover benötigte die Sportlerin 14 Stunden und 32 Minuten.

Wieder zurück in Amerika, wurde Gertrude Ederle ein triumphaler Empfang bereitet. Zwei Millionen Menschen, so berichten zeitgenössische Quellen, säumten die Straßen Manhattans, als sie im offenen Straßenkreuzer durch den Konfetti-Regen gefahren wurde. Die Nachricht von ihrem Husarenstück, bei dem sie trotz heftigen Wellengangs die Zeit des bis dahin schnellsten Mannes um zwei Stunden unterboten hatte, flimmerte über die große Nachrichtenbänder, die über den zentralen Plätzen der Stadt angebracht waren.

Schwimmen gelernt hat Gertrude im Bissinger Feuersee

Die Meisterleistung der jungen Schwimmerin kam für die führenden Zeitungen der Metropole gerade recht. Sie machten Ederles Leistung zu klingender Münze. Schnell machte auch die Geschichte die Runde, dass Gertrude Ederle, die vor ihrer Ärmelkanaldurchquerung schon mehrere Weltrekorde aufgestellt und eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von London gewonnen hatte, das Schwimmen im kleinen Feuersee von Bissingen gelernt hatte.

Sieben Jahre alt ist Gertrude gewesen, als sie ihre Tante unter der Teck besuchte. Klar, dass sie bei dieser Gelegenheit auch in den Bissinger See tauchte. Der lag ja praktisch vor der Haustüre der von der Familie betriebenen Gaststätte Lamm. Wobei das mit dem Tauchen wohl wörtlich zu verstehen ist. Zumindest hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die kleine Trudel bei ihren ersten Schwimmversuchen beinahe ertrunken wäre.

Ist sie nicht. Sie lebte anschließend ein bewegtes Leben, das erst nach 98 Jahren ein Ende nahm. Im Lamm, in dem nur noch streckenweise bedient wird, erinnert eine Bilderecke an die Meisterschwimmerin. Am nahen See nicht einmal eine Gedenktafel.