Tausende Menschen, viel mehr als erwartet, demonstrieren in Stuttgart und solidarisieren sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung. Ausschreitungen überschatten den politischen Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Stuttgart - Schwarz ist am Samstagmittag die bestimmende Farbe rund um den Eckensee. Ein Großteil der Teilnehmer an der Kundgebung gegen Rassismus gegenüber dem Schauspielhaus trägt die Farbe zum Thema: Black Lives Matter. Mehrere Tausend Menschen sind es am Ende, die sich um die Bühne, bis zur Oper und dem See hin versammelt haben. Abstandsregeln sind kaum einzuhalten. „Auf den Schlossplatz durften wir wegen Corona nicht“, seufzt eine Ordnerin. „Hier ist nun einfach zu wenig Platz.“ Polizei und Veranstalter tun ihr Bestes, zumindest ein bisschen Distanz zu ermöglichen. Später soll es punktuell zwischen Polizei und einigen Demonstranten noch eskalieren.

 

Aber zunächst ist der Ablauf friedlich. Es sind vorwiegend jüngere Leute, die sich versammelt haben. Nicht ausschließlich. Zwei Amerikanerinnen im Rentenalter recken ebenfalls die Faust gen Himmel, als schweigend der Opfer des Rassismus gedacht wird. „Es ist eine Schande, was sich gerade in den USA abspielt“, sagt eine von ihnen. „Deshalb sind wir hier.“

Dass Rassismus auch ein Stuttgarter Problem sei, wollen die Redebeiträge von jungen Deutschen wie Sandra Salem verdeutlichen. Sie berichtet von Fahrgästen, die sich in der S-Bahn einen anderen Sitzplatz suchten, um ihr auszuweichen und sah sich bereits bei Bewerbungen aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert. Es beginne beim unfreundlichen Blick und führe bis zur institutionellen Ungleichbehandlung, sagt sie. „Lasst uns zusammen eine Welt erschaffen, in der sich die Rassisten schwarzärgern!“, ruft Faisal Osman, eine weitere Bühnenrednerin, der Menge im Schlossgarten zu. Der Jubel untermauert, wie viele gekommen sind. Am Rande hat sich auch Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) eingefunden.

Teilnehmerzahl überstieg Erwartungen

Immer wieder werden Schweigeminuten in den Protest integriert. Der „Silent Protest“ gebe den Teilnehmern Zeit, die Inhalte der Reden sacken zu lassen und zu überdenken“, sagt Nadia Asiamah (22), die die Kundgebung angemeldet hat. Man verstehe den Protest nicht als Bewegung im parteipolitischen Sinne, betont sie. Es gehe darum, Zeichen für ein gleichberechtigtes Miteinander zu setzen.

Auch der Kniefall, jene Geste des Respekts, die sich nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd etabliert hat, fehlt auf der Stuttgarter Kundgebung nicht. Sie gilt allerdings explizit allen Opfern von Rassismus. Ein Transparent nennt weitere Namen: Oscar Grant, Tamir Rice, Oury Jalloh. Letzterer war 2005 im Keller eines Polizeireviers in Dessau ums Leben gekommen. „Hass und Rassismus seien nicht angeboren“, stellt Sandra, eine Demo-Teilnehmerin, klar. Man könne sie auch wieder verlernen. Die Demonstranten fordern die Überwindung vorgefertigter Bilder in den Köpfen. Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung dürften keine Vorurteile auslösen. In diesem Sinne gelte es noch mehr Menschen zu mobilisieren. Die Teilnehmerzahl der Kundgebung mache Hoffnung. Sie überstieg die Erwartungen der Organisatoren deutlich.

Polizeifahrzeug mit Steinen beworfen

Aus polizeilicher Sicht stellte sich der Einsatz aufgrund der Menschenmassen schwierig dar, am Rande der Demo kam es immer wieder zu Problemen. Auf der Demonstration selbst nehmen Polizeibeamte auf Bitten der Versammlungsleitung einen offenbar angetrunkenen Mann fest, der sich mit einer abgebrochenen Flasche in der Hand aggressiv gegenüber den anderen Teilnehmern verhält.

Als sich der Marsch Richtung Neues Schloss in Bewegung setzt, kommt es zu weiteren Vorfällen. Steine fliegen auf ein besetztes Polizeifahrzeug, wie das Polizeipräsidium Stuttgart am Samstagabend mitteilt. Die Stimmung beschreibt die Polizei teilweise als aggressiv, in Richtung der begleitenden Einsatzkräfte seien Gegenstände geworfen worden, sie nennt auch den Einsatz von Pyrotechnik. Außerdem beschreibt die Polizei eine Attacke auf einen Passanten am Rande eines der Aufzüge, Rettungskräfte mussten ihn demnach betreuen. Es kam zu mehreren Festnahmen.

Zur Identität der Störenfriede vermag die Polizei zu diesem Zeitpunkt nichts zu sagen, obwohl die Personalien der mutmaßlichen Täter festgestellt worden sei, bevor sie wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. „Ein Abschlussbericht liegt uns noch nicht vor“, sagt ein Sprecher der Polizei am Samstagabend auf Nachfrage.