Der ehemalige baden-württembergische Regierungssprecher Manfred Zach hat mit seinem Enthüllungsroman „Monrepos“ einst für Wirbel gesorgt. Bis heute ist Zach Beamter.

Region: Verena Mayer (ena)

Stuttgart - Unmut in der Buchhandlung: Manfred Zachs Roman ist nicht da. Die Verkäuferin ärgert sich mehr als der Kunde. „Dieses Buch sollte man immer vorrätig haben“, erklärt sie, als spräche sie über Goethes „Faust“ oder Thomas Manns „Buddenbrooks“. Das fehlende Werk heißt „Monrepos oder die Kälte der Macht“. Als der Roman vor 17 Jahren erschien, bebte das Land, und über den Autor ergossen sich neben wunderbaren Rezensionen hässliche Tiraden. Zach hatte auf rund 500 Seiten beschrieben, wie es im Stuttgarter Staatsministerium zuging, wie Politik funktioniert und was die Macht mit den Mächtigen macht. Der Autor war ein Insider. 15 Jahre hatte er als strebsamer Beamter im Staatsministerium gedient, zuletzt war er Lothar Späths Regierungssprecher. Was er schrieb, war ungeheuerlich. Dass er die Namen der Protagonisten änderte, spielte keine Rolle: Jeder wusste, wer gemeint war. Das Buch wurde zu einem Bestseller.

 

Manfred Zach bestellt einen Kaffee und entbindet sich seiner Krawatte. Sein Blick scheint nirgends und ist überall. Mit einer Stimme, die so sanft wie bedrohlich klingt, fragt er die Reporterin: „Was an mir ist interessant?“

In den 60er Jahren studiert Zach Jura in Heidelberg. Er ist Mitglied im Sozialistischen Studentenbund, blockiert Straßenbahngleise, als das Protestieren in ist, schreibt als freier Journalist für Tageszeitungen, verfasst eine kurzweilige Biografie über Mao Tse-tung. 1974 tritt er als Assessor im Stuttgarter Regierungspräsidium an, ein Jahr später wechselt er in die Pressestelle des Staatsministeriums. Der Ministerpräsident heißt noch Hans Filbinger. Als dieser 1978 wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zurücktritt, schmiegt sich Zach, inzwischen CDU-Mitglied, an die Seite Lothar Späths. Er darf ihn beraten, seine Reden (und Bücher) schreiben und schließlich für ihn sprechen. Als Späth 1991 wegen dubios finanzierter Urlaubsreisen mit Unternehmern – der sogenannten Traumschiffaffäre – zurücktritt, ist auch Zachs Karriere im Staatsministerium beendet.

Lothar Späth ist Oskar Specht

Lothar Späth trägt im Roman den Namen Oskar Specht und wenig schmeichelhafte Züge. Specht ist herrisch, hektisch, will überall der Schnellste, Klügste, Gerissenste sein. „Ein Veränderungssüchtiger, der das Überraschungsmoment braucht wie eine Droge. Der jeden Auftritt zum Bühnensolo stilisiert und den Applaus in sich hineintrinkt, in das unergründliche, offenbar nie zu füllende Gefäß seines Anerkennungsdrangs“, schreibt Zach, der Lothar Späth mit zu dem weltgewandten Politiker aufgebaut hat, der er wurde. Späth, heißt es, habe das Buch nie gelesen. Allein das Verfassen nannte er „charakterlos“. Gerhard Mayer-Vorfelder, der in „Monrepos“ als der rechte Haudegen Wolf Müller-Prellwitz vorgeführt wird, hielt es für eine „Sauerei“. Und Matthias Kleinert, sein Vorgänger als Regierungssprecher, der sich im Roman als Tom Wiener bis zur Selbstaufgabe demütigen lässt, fand „unbegreiflich, wie ein Staatsbeamter ein solches Maß an Illoyalität gegenüber seinem Dienstherrn an den Tag legen kann“.

„Manches hat mich schon getroffen“, sagt Manfred Zach, der jetzt 65 ist. Bereut hat er „Monrepos“ nicht. Er würde es wieder schreiben – trotz der Reaktionen, die ihn verletzten. „Ich habe nicht mit diesem Aufruhr gerechnet. Ich war wahrscheinlich zu naiv“, sagt der Mann, der für Späth mit den Medien spielte.

Nach dem Ende als Chefstratege wechselt Zach in die Wirtschaft. Keine Termine von morgens bis abends, keine Entscheidungen treffen, keine alles Menschliche absorbierende Umtriebigkeit – das ist nichts für den Troubleshooter. Es muss rasch weitergehen, also gibt Zach dem Werben eines Bauunternehmers nach und führt dessen Geschäfte. Doch Begeisterung für Beton will sich bei Zach auch nach einem Jahr nicht einstellen. Der Beamte nutzt sein Rückkehrrecht und kommt im Sozialministerium unter. „Ich musste lernen, mich selbst als Person wiederzufinden“, sagt Manfred Zach, der schließlich begann, seine Erlebnisse hinter der Fassade der Demokratie niederzuschreiben.

Ein Priester der Macht

Vier Jahre lang arbeitet er daran, immer abends und nachts. Er spricht mit keinem darüber, und er zeigt das Manuskript niemandem, ehe er fertig ist. „Das war ziemlich egoistisch. Aber ich wollte es erst noch mal für mich behalten.“ Als seine Frau die dicht beschriebenen Seiten endlich lesen darf, entdeckt sie eine Facette ihres Mannes, die ihr und den beiden Söhnen jahrelang verborgen war: Was Manfred Zach als Priester der Macht genau getan hatte, wusste sie bis dahin so wenig wie sonst jemand außerhalb dieser vereinnahmenden Welt.

Wenn der Gatte mal daheim war, sprach er nicht darüber, wie er und seine Mitarbeiter wirbeln mussten, um für den anfangs unbekannten Ministerpräsidenten hochrangige Gastgeber bei  seiner Amerikareise aufzutreiben: „Oskar Specht brauchte einen Termin im Weißen Haus, auf Biegen und Brechen.“ Seine Familie wusste auch nichts davon, welche Register im Staatsministerium gezogen wurden, um die Übernahme des Flugzeugherstellers Dornier durch Daimler zu befördern: „Als die Krise um die Luftfahrtfirma kulminierte, bestellte Specht beispielsweise die zerstrittenen Familienmitglieder und ihre Rechtsanwälte ins Schloß und traktierte sie zwölf Stunden lang mit immer neuen Ortswechseln, bis sie dem mehrheitlichen Verkauf ihrer Anteile an Daimler-Benz zustimmten.“

Und was bei Treffen mit Staatsmännern, beispielsweise bei Gorbatschow in Moskau, alles bedacht werden musste, war auch im Hause Zach bis zur Vorlage des Manuskripts unbekannt: „Seit über zwei Stunden sitzen wir hier. Unglaublich. Franz Josef absolut in den Schatten gestellt! Das gibt ein riesiges Medienecho. Bundesweit, international. Und das sechs Wochen vor der Landtagswahl!“

Der Roman wird ein Bestseller

Es folgten viele lange Gespräche der Eheleute, in denen die arbeitsamen Jahre verarbeitet wurden. „Das Buch ist noch immer ein Stück Katharsis“, sagt Zach, der anfangs nicht vorhatte, sein Werk zu veröffentlichen. Erst als ein befreundeter Journalist meinte, sogar er, der schon einiges erlebt habe, finde „Monrepos“ interessant, habe er begonnen, einen Verlag zu suchen. In Tübingen bei Klöpfer & Meyer hat er ihn gefunden. An die 90 000-mal hat sich der Roman seither verkauft, er wird in Schulen gelesen und in politischen Seminaren. Zum 60. Geburtstag des Landes im vergangenen Jahr erschien eine Sonderausgabe. Und sogar an eine Verfilmung war schon mal gedacht. Doch die Studenten der Ludwigsburger Filmakademie ließen von ihrem Vorhaben ab. Gerüchten zufolge hatte das Kultusministerium der Hochschule bedeutet, andernfalls könnte der Akademieetat schrumpfen.

Manfred Zach ist noch immer Staatsdiener. Jetzt bereitet er Politik vor, verkauft sie nicht mehr. Im Sozialministerium leitet er die Abteilung 3, Soziales. Kein Strippenziehen mehr für eine Bankenfusion. Passé die Treffen, um Kunstsammlern den Weg ins Land zu ebnen. Vorbei die Reisen nach Kuwait oder China. In seinen Bereich fällt unter anderem Senioren- und Behindertenpolitik. „Meine Themen sind sehr lebensnah“, sagt der Ministerialdirigent.

Was ärgert ihn? Wenn er gefragt werde, ob er Späth mal wieder getroffen habe. Und, hat er? Selbst wenn, es gehe niemanden etwas an, aber mit Matthias Kleinert alias Tom Wiener treffe er sich seit einigen Jahren regelmäßig. Das Verhältnis sei fast freundschaftlich. Würde er alles wieder tun? Er würde versuchen, trotz aller Zwänge, mehr Selbstständigkeit zu bewahren: „Es ist nicht gut, wenn man über so eine lange Strecke die eigene Person zurückstellt und sein Denken und Handeln von einem anderen ableitet.“

Das Kapitel ist abgeschlossen

Was nervt ihn? Wenn er als Schriftsteller auf „Monrepos“ reduziert werde. Manfred Zach hat ein lesenswertes Buch über einen Vater-Sohn-Konflikt in der Provinz geschrieben („Die Bewerbung“), eine spannende Beziehungsparabel („Bolero“), eine kurzweilige Geschichte der Bürokratie („Gauner, Pinsel, Chicaneure“), zwei Hörspiele („Expertenkommission“, „Schattenkabinett“) und zwei Theaterstücke („Stelzengötter“, „Schlossplatz“). Keines dieser Werke hat so viel Aufsehen erregt wie „Monrepos“, bei jeder seiner Neuerscheinungen fragten die Leute: Ist sie politisch brisant? So wird es wohl auch bei Zachs nächstem Werk sein, das momentan reift und vermutlich wieder keine Enthüllungsgeschichte sein wird. Immerhin fühlt sich im Staatsministerium dadurch niemand mehr bemüßigt zu prüfen, ob der schreibende Staatsdiener gegen Beamtenrecht verstoßen hat.

Die Vorpremiere seines Hörspiels „Schattenkabinett“ fand im vergangenen Jahr im Staatsministerium statt. Als Zach eintraf, war noch Zeit bis zum Beginn der Aufführung. Der einstige Regierungssprecher wurde höflich auf die Terrasse geleitet, wo er Kaffee serviert bekam. Der Beamte und Nebenerwerbsschriftsteller, einst als Verräter und Nestbeschmutzer beschimpft, konnte in diesem Moment ein Kapitel seines Lebens endgültig abschließen. „Es ist sentimental, ich weiß“, sagt Manfred Zach, „aber das war, als hätte sich etwas gerundet.“