Der städtische Auszubildende Onur Özer macht Station im Bezirksrathaus für Birkach und Plieningen. Der 23-Jährige ist seit sieben Jahren blind, aber mit Hilfe technischer Raffinessen kommt er gut durch den Arbeitsalltag.

Plieningen - Am schönsten sei die Stille bei der Arbeit im Plieninger Bezirksrathaus, sagt Onur Özer. Der 23-Jährige macht eine Ausbildung bei der Stadt zum Kaufmann für Büromanagement. Eine Station bringt ihn in das Bezirksrathaus an der Filderhauptstraße. „Vorher war ich im Schulverwaltungsamt mitten in der Stadt, da habe ich ständig viele Geräusche von der Straße gehört“, sagt Özer.

 

An der Filderhauptstraße fahren hingegen vergleichsweise weniger Autos und Busse am Bezirksrathaus vorbei. In der Ferne hält die Straßenbahn an der Haltestelle „Garbe“. Vielleicht hört Özer auch, wenn Mitarbeiter oder Besucher vor dem Gebäude am Aschenbecher stehen und beim Rauchen miteinander tratschen.

Konzentration auf akustische Reize

Onur Özer nimmt alles intensiver wahr als Menschen, die sehen können. Er ist bei einem Verkehrsunfall vor sieben Jahren erblindet. Weil er visuelle Reize nicht mehr wahrnehmen kann, konzentriere er sich stärker auf die akustische Kulisse um ihn herum. „Das muss sich ein Sehender so vorstellen, als würde er eine Weile die Augen schließen. Dann wird jedes Gehör automatisch feiner“, sagt der Auszubildende.

Özer spricht nüchtern und sachlich vom Verlust seines Sehnsinns und den Folgen für sein Leben. Er faltet im Gespräch die Hände, eine Geste, die Gelassenheit ausdrückt. Wenn er schildert, wie er seine Ausbildung mit der Unterstützung einiger technischer Hilfsmittel trotz seiner Blindheit meistert, vermittelt seine Darstellung die Botschaft: „Alles halb so wild.“

Der Rechner als Hilfe

Özers Computer ist eine kleine Wundermaschine, die ihm ermöglicht, zu schreiben, obwohl er nicht sehen kann. Unten ist eine Leiste in der Blindenschrift Braille angebracht. Sie besteht aus Punktmustern, die sich ertasten lassen. Oben gibt es eine Tastatur mit Buchstaben. „Meistens verwende ich aber die normale Tastatur. Ich habe nach meinem Unfall das Zehnfingersystem gelernt“, sagt der Azubi.

Neben dem Computer steht ein Scanner. Onur Özer kann so Papiere aus den Akten digitalisieren. Wenn sie erst als PDF auf seinem Bildschirm erscheinen, liest der Rechner den Inhalt vor. Genauso funktioniert für Özer auch das Lesen von E-Mails. Die Computerstimme verrät, was in der elektronischen Post steht.

Lernen von unterwegs

Wenn Onur Özer mal nicht am Computer im Bezirksrathaus sitzt, hat er ein mobiles Gerät dabei, das Papiere abfotografiert und dann digitalisiert. So könne er zum Beispiel zu Hause in Stuttgart-Mitte für die Berufsschule lernen, sagt Özer. Den Weg zur Arbeit, aber auch seine üblichen Routen im Bezirksrathaus hat Özer mit einem Trainer eingeübt. „Er hat mir Orientierungspunkte gezeigt, die ich ertasten kann. Mit deren Hilfe erkenne ich, wo ich bin“, sagt der Azubi.

Lange habe er nicht üben müssen, um sich im Bezirksrathaus zurechtzufinden. Das Gebäude erlebte er als barrierefrei. „Ich komme auch ohne Blindenstock zurecht, wenn nicht viele Bürger in den Gängen unterwegs sind“, sagt er.

Familiäres Klima im Rathaus

Und die Bürger, wie reagieren die auf den blinden Mitarbeiter? Özer hatte sich während seiner Station vor allem um Projekte gekümmert wie die „Fairkostung“. Dabei ging es darum, Bezirksbewohnern zu zeigen, welche Fairhandelprodukte sie in der lokalen Umgebung finden. Özer stand drei Wochen lang immer dienstags im Foyer des Bezirksrathauses und hat Kaffee ausgeschenkt oder Schokolade angeboten. Die Plieninger und Birkacher habe er dabei als grundsätzlich freundlich erlebt, sagt Özer. „Es gibt im Bezirksrathaus ein familiäres Klima, nicht nur zwischen den Kollegen, sondern auch zwischen den Mitarbeitern und Bürgern“, sagt er. Anderswo in der Verwaltung habe er eine größere Anonymität erlebt, sagt er.

Seine Blindheit habe er oft selbst angesprochen. „Mir gelingt es, den Blick in Richtung eines Gesprächspartners zu lenken. Aber das mit dem Augenkontakt klappt nur selten. Ich will nicht, dass jemand meint, ich wäre unhöflich. Das würde auf die ganze Verwaltung zurückfallen“, sagt er.

Onur Özer könnte sich vorstellen, nach dem Ende seiner Ausbildung 2018 für die städtische Verwaltung zu arbeiten, sagt er. Falls es ihn dann wieder ins Bezirksrathaus an der Filderhauptstraße verschlagen würde, könnte er sie wieder genießen, die Plieninger Stille.