Die neue Thrillerserie „Blochin“ mit Jürgen Vogel will den ganz großen Erzählbogen schlagen – klappen will das allerdings nicht so recht.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

DBerlin - ass bei der neuen ZDF-Thrillerserie „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ die Latte hoch hängt, daran sind die Macher selber schuld: Sie haben den Hype bewusst geschürt. Bei der diesjährigen Berlinale ist der Fünfteiler des Regisseurs und Autors Matthias Glasner mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle selbstbewusst am Stück gezeigt worden, so wie einst Dominik Grafs TV-Perle „Im Angesicht des Verbrechens“. Und wann immer im Vorfeld von „Blochin“ die Rede war, fiel spätestens im zweiten Satz der leidige Vergleich mit dem US-Serienhit „Breaking Bad“. Ja, natürlich ist „Blochin“ horizontal erzählt, hat unter Glasners Leitung das Autorenteam des sogenannten „Writersroom“ die auf abgeschlossenen Episoden basierende Serien-Machart hinter sich gelassen und schlägt den Handlungsbogen von der ersten bis zur fünften Folge hinweg.

 

360 TV-Minuten, neunzig Minuten zum Auftakt an diesem Freitag, dann dreimal sechzig Minuten hintereinander weg am Samstag, und am Sonntag noch mal neunzig Minuten. Binge-Watching, Serienkonsum am Stück, ist also ausdrücklich erwünscht, die ARD zieht von 29. September an im gleichen Modus mit der dritten Staffel von „Weißensee“ nach.

Ein bisschen Berliner „House of Cards“

Alles also zeitgemäß und anspruchsvoll beim deutschen Möchte-gern-„Breaking-Bad“, und ein bisschen Berliner „House of Cards“ soll auch dabei sein: Es geht um Schuld und Sühne, die Grenzen von Gut und Böse lösen sich auf, die kriminelle Energien der Drogenszene strahlen hinüber ins Regierungsviertel und wieder zurück. Kindheitstrauma und Politranküne, Beziehungsdrama und Großstadtpanorama, Crime-Scene und Familienkosmos, alles ist „untrennbar verbunden“.

Um was geht es? Zwei Polizisten der Berliner Mordkommission MK7, der eine ist der vornamenlose (das scheint im Fernsehen gerade hip zu sein) Blochin gespielt von Jürgen Vogel, der Ex-Kriminelle, der jetzt ein guter Bulle und lieber Ehemann und Vater sein will, woran ihn aber seine Vergangenheit hindert, die ihn selbstredend einholt, weil er es mit einem Mordfall in der Club- und Drogenszene zu tun bekommt und außerdem von einem früheren Drogen-Spezi erpresst wird.

Der zweite ist sein Chef, den alle „Lieutenant“ nennen, Dominik Stötzner (Thomas Heinze). Abziehbild eines US-Cop, einer, der ganz genau weiß, was gut ist, und deshalb auch nicht vor dem Bösen zurückschreckt, mit Revolver-Strapsen über dem weißen Hemd, Sonnenbrille und ausgeprägter Kinnpartie. Dominiks Schwester Inka (Maja Schöne) ist Blochins Frau und Mutter ihrer beider Tochter Grille (Emilia Eidt). Inka leidet an Multipler Sklerose, sie ist damit das Bindeglied zwischen Dominik und Blochin; um sie zu schützen, lässt sich der Lieutenant von seinem Schwager in einen kriminellen Strudel hineinreißen, und die beiden werden zu einer Schicksalsgemeinschaft.

Eine enorme Stoff- und Figurenfülle

Mit Dominiks heimlicher Geliebter Katrin Steinbrenner (Jördis Triebel) als Staatssekretärin kommt die große Politik ins Spiel; mit der Prostituierten Conchita (Carol Schuler), eine frühere Freundin Blochins, das Berliner Arm-aber-sexy-Ambiente, und mit Tilda (Corinna Harfouch), einer Leidensgenossin Inkas, auch noch das Aussteiger-Selbsterfüllungs-Flair der Landkommune.

Eine enorme Stoff- und Figurenfülle, jede Menge Verflechtungen und Verwicklungen kennzeichnen die Serie, und um das alles für den Zuschauer befriedigend zu händeln, bräuchte es Struktur, Gewichtung und Prägnanz. Doch all dies kann die Thrillerserie nicht vorweisen, und so dämmert dem Zuschauer relativ schnell, dass hier ein paar mehr wollten, als sie können.

Matthias Glasner öffnet einen Nebenschauplatz nach dem anderen, springt von Szene zu Szene, von Figur zu Figur – auch die übrigen Mitarbeiter der MK 7 bekommen ihre persönliche und überflüssige Story. Alles wird gleichförmig aneinandergereiht; die dramaturgische, rhythmisierende Klammer fehlt. Ursprünglich hatte Glasner angeblich einen Neunzigminüter geplant, das ZDF wollte einen Mehrteiler haben – ein Fehler.

An einer zweiten Staffel wird schon gearbeitet

Unglücklicherweise statten Regie und Autoren auch die Hauptfigur nicht mit den Mitteln aus, die nötig wären, um diese Szenenhast zu verlangsamen, dem Ganzen Tiefe zu geben. Das „große Geheimnis“, Blochins Vergangenheit, wird nur jeweils zu Beginn und in spärlichen Rückblenden mit Schwarzweiß-Sequenzen angedeutet: Als 14-Jähriger von Pistolenschüssen getroffen, wacht er im Leichenschauhaus wieder auf. Was war davor? Black out. Über weite Strecken geht dieser eigentlich zentrale Faden im Figuren- und Handlungsgewusel verloren, es dauert viel zu lange, bis er wieder aufgenommen wird. Und Vogels Blochin ist nicht mehr als ein Muskelpaket mit Leidensmiene, monoton verzweifelt stapft er durch das schwere Schicksal, das ihm auferlegt ist. In – zumindest gefühlt – jeder zweiten Szene hat er das Handy am Ohr und sagt zu seinen Lieben: „Ich muss noch mal weg.“ Figurenentwicklung wird am ehesten noch bei Schwager Dominik betrieben – Thomas Heinze stattet ihn überzeugend mit Undurchsichtigkeit aus.

360 Fernsehminuten, das sind sechs volle Stunden. Angesichts der eklatanten Schwächen vergeudete Zeit, da hilft auch das Zauberwörtchen horizontal nicht. Glasner arbeitet bereits an einer zweiten Staffel. Vielleicht gelingt es ihm, aus den Fehlern der ersten zu lernen.

Sendetermine
Das ZDF zeigt die erste Folge von „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ an diesem Freitag um 20.15 Uhr. Weitere drei Teile am Stück folgen am Samstag, ab 20.15 Uhr. Die letzte Folge wird dann am Sonntag um 22 Uhr ausgestrahlt.